Doug Dulgarian, der kreative Kopf hinter They Are Gutting A Body Of Water (TAGABOW), hatte eine klare Vision für „LOTTO“: ein Gitarrenalbum, dessen Riffs im Gedächtnis bleiben. Und das ist ihm mehr als gelungen.
Dulgarian, Sohn eines Dirt-Track-Rennfahrers und ehemals drogenabhängig, gründete das Projekt 2013 nach seiner Entziehungskur in Albany. Heute wird er von Bassistin Emily Lofing, Gitarrist PJ Carroll und Schlagzeuger Ben Opatut unterstützt.
Nach dem produktionslastigen „Lucky Styles“ von 2022 wollten TAGABOW bewusst auf digitale Produktionstricks verzichten. Vier Menschen in einem Raum, die live auf Band aufnehmen – ein „touching of grass“, wie sie es selbst formulieren.
Auf dem vierten Studioalbum der Amerikaner türmen sich rohe, verzerrte Gitarrenwände zu einem dichten Klanggebäude, durchzogen von eingängigen Riffs und hypnotischen Hooks.
Der Opener „The Chase“ beginnt mit Kirchenglocken, einem schleppenden Gitarrenriff und der nackten Wahrheit: Dulgarian erzählt von seinem Neujahrstag 2025 im Fentanyl-Entzug. Eine schonungslosere Ehrlichkeit ist kaum vorstellbar – und sie durchdringt alle zehn Tracks.
Auf „Sour Diesel“ flechten sich Melodien ineinander wie ein Strom innerer Stimmen, die unaufhörlich auf einen einreden – man schließt unwillkürlich die Augen, lässt sich vom Beat treiben und verliert sich im Sound.
Die Produktion ist bewusst roh: Gitarrenwände aus Reverb und Distortion, versteckte Vocals (bei „Rl Stine“ so tief begraben, dass man sich fragt, ob sie überhaupt nötig waren), verstimmte Riffs. Manchmal muss man sich durchkämpfen, um durch die Verzerrung noch Melodie zu erkennen – gewollt und fordernd im besten Sinne.
„Chrises Head“, ein knapp einminütiges Interlude, zeichnet sich durch automatisierte Stimmen aus, die kontinuierlich überlagert und gepitcht werden, wie eine Art defekte KI. Passender kann man die Brüchigkeit unserer digitalen Realität kaum vertonen.
Überhaupt dockt „LOTTO“ thematisch an aktuelle Diskurse an: Die Sehnsucht nach dem großen Gewinn, dem viralen Moment, der Erlösung durch Konsum. Songs wie „American Food“ mit seinen robotischen Versen oder „Trainers“ verhandeln Eskapismus und Selbsttäuschung.
Nur „Violence iii“ bricht, zumindest instrumental, mit seiner unerwarteten Leichtigkeit kurzzeitig aus der Dunkelheit aus.
Der mitreißende Closer „Herpim“ beginnt dann mit blinkendem, blubberndem Roboter-Geschwätz, bevor die Gitarren ein letztes Mal losbrechen.
Das Outro klingt langsam aus, als würden die Instrumente nacheinander ihren Dienst versagen, bis nur noch klirrendes Hintergrundgeräusch übrig bleibt – eine unheilvolle Metapher für die Zukunft oder einfach die Realität einer Live-Aufnahme? Die Frage bliebt offen.
„LOTTO“ bietet keine Lösungen an, sondern hält uns einen verzerrten Spiegel vor. Und das tut weh. Auf die gute Art.
