Themen wie dem Leiden an Einsamkeit und Depression eine gesamte Platte zu reservieren, verdient große Anerkennung. Doch man kann es bei Shura leicht mal überhören, dass sie über diese weit verbreiteten Phänomene nachdenkt, solange man einzelne Tracks heraus greift.

Lässt man viele Stücke und den Albumtitel „I Got Too Sad For My Friends“ auf sich wirken, dann wird es jedoch unausweichlich: Die 36-jährige Singer/Songwriterin wirkt dieses Mal nicht nur still, in sich selbst gefangen und bedrückt, sondern auch sehr ernst.

Dabei könnte das Album stellenweise als entspannter R&B im Ohr bleiben. Es kann sich durchaus als elegant geben und von den Problemen ablenken. So etwas entspricht der gesellschaftlichen gelebten Wirklichkeit. Man setze sich in ein öffentliches Verkehrsmittel einer beliebigen deutschen Großstadt und beobachte Menschen:

Da sind die meisten in Shuras Generation und insbesondere die jüngeren sehr emsig an ihren Smartphones zugange, viel zu vertieft für die Welt um sie herum, und hacken Nachrichten auf den Bildschirm, kommunizieren – scheinbar.

Dahinter stecken oft gerade keine erfüllenden Beziehungen, sondern ein Mangel an realen Treffen mit realen Personen, zielloses Schreiben ohne verstanden zu werden, und manchmal einfach Spiele-Apps. Willkommen in der Welt von Shura, die nicht auf Knopfdruck fröhlich sein kann und sich damit schon für manche Freundschaften disqualifizierte.

Wer schüchtern ist, statt das geballte Selbstbewusstsein aufzufahren, so fragend und schwach an Ego wirkt wie Shuras Ich-Erzählerin in „Tokyo“, der dringt im Kampf ums knappe Gut Aufmerksamkeit kaum durch.

Wer Gespräche nur im.Kopf durchspielt, aber nie führt, wie in „Richardson“ mit Gaststimme Cassandra Jenkins, leidet womöglich daran ‚geghostet‘ zu werden oder selbst jemanden zu ‚ghosten‘.

Innerlich aufgewühlt zu sein, Sackgassen und fehlende Auswege wahrzunehmen, Panikattacken zu erleben und suizidale Gedanken durchzuspielen, davon handelt gar das düstere Ende des Albums. Bei „Bad Kid“ begibt sich Becca Mancari an die Seite der zweifelnden Shura.

Es gibt also eindringliche Momente auf diesem schonungslos ehrlichen Longplayer, der die belastenden Sujets kurzweilig moderiert. Lo-Fi, Kammermusik, hymnischer Electro- und Funk-Pop, rhythmusgetriebener Neo-Soul mit Jazz-Kante und zerbrechlicher Akustik-Folk pflastern den Weg für Shuras ätherischen Gesang.

Als Schlüsselsätze bleiben das Bekenntnis, nicht verzeihen zu können, die antriebsarme Selbst-Analyse „I don’t have the energy to change clothes“ sowie das Szenario in der „Leonard Street“ hängen: Sitzen gelassen worden mit einem Kaffee und dem Blick auf einen leeren Parkplatz, „empty like the bars in Leonard Street“.

Zwischen Zerbrechlichkeit und Marschtrommel, energisch und zart findet „I Got Too Sad For My Friends“ einen geschmackvollen Weg des Kompromisses und stellt zugleich die Kompromisslosigkeit als Problem unserer Ära in den Mittelpunkt.

Die schwungvollen Tracks „Recognise“, „World’s Worst Girlfriend“ und „Ringpull“ voller Achtziger- und Offbeat-Kompetenz überstrahlen dabei die fragileren Stücke und zeigen Licht am Ende des Tunnels auf.

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