Berühmt sind die Hampeleien, kleineren Ausrutscher oder gelangweilten Aussagen des Bloc Party-Sängers Kele Okerekes während seiner Interviews allemal. Nicht selten kommen hier liebevoll gesponnene Flunkereien auf den Tisch. Doch im Gespräch mit MusikBlog zeigt sich, dass Kele einer der aufgeregtesten Plauderpartner ist, welche es bis dato an die Strippe zog. Er scheint sich unter den Druck zu setzen, in gewählter Ausdrucksweise zu antworten, mit einem Selbstanspruch auf gehaltvolle Aussagen im Frage-Antwort-Spiel. Für die Promotion seines neuen clubtauglichen Solo-Albums „Trick“ stottert, hetzt und verhaspelt er wohlüberlegte Antworten auf liebenswürdige Art und Weise.
MusikBlog: Kele, du engagierst dich ebenfalls im journalistischen Bereich. Unter anderem schreibst du über deine höchst philosophischen Auffassungen zur Musik als nicht greifbare Kunst. Was macht Musik in deinen Augen so undefinierbar?
Kele: Nun, ich denke, Musik fasziniert mich enorm. Daher habe ich mein Leben auch der Musik verschrieben. Ich schätze, die Musik ist die höchste sinnliche Form der Kunst, welche unmittelbar Emotionen erweckt.
MusikBlog: Du führst in deinen Betrachtungen eine hübsche Auffassung an, nach welcher Musik die Sprache der Seele sei, welche sich nicht übersetzen lässt. Doch lässt sich Musik nicht in Worte fassen – was ist dann der Sinn meines Jobs als Kritikerin?
Kele: Nun ja, ich persönlich sehe nicht die Wichtigkeit des Kritikerjobs. In der Essenz geht es hier doch darum, dass die Kritiker ihr Ego und ihre Meinung über die Interpretationen anderer Leute heben. Daher lese ich auch keine Musikreviews oder solches Zeug. Ich bevorzuge es vielmehr, Musik selbst zu erleben, ohne jeglichen Einfluss von außen.
MusikBlog: Es kümmert dich entsprechend nicht, was über dein Schaffen so verfasst wird?
Kele: Nein, ich habe seit 2005 überhaupt keine Kritiken mehr gelesen. Ich muss mir nichts sagen lassen und brauche keine Glückwünsche oder Kritik, wenn ich doch schon weiß, was ich selbst von dem Album halte, welches ich kreiert habe. Ob nun andere Menschen das Album lieben oder hassen, das alles hat keinen Einfluss auf mich und meine Musik. Die Einstellung ist für mich gesund.
MusikBlog: Die Abhängigkeit von der Publikumsreaktion ist dennoch nicht komplett auszublenden. Wenn du beispielsweise auflegst, geschieht das auch auf Basis der Publikumsreaktionen.
Kele: Richtig, aber das ist natürlich eine andere Sache. Dabei geht es um eine unmittelbare, sehr physische Angelegenheit. Jedoch das Schreiben von jemandem zu lesen, der dafür bezahlt wird, etwas zu kritisieren, das ist nicht wirklich das gleiche. Ich bekomme meine wahre Rückmeldung und Beurteilung, indem ich in die Meute schaue. Wie die Leute im Affekt reagieren – das ist es, worauf ich mich konzentriere.
MusikBlog: Wenn du sagst, dass elektronische Musik dich freier sein lässt, als es noch bei Bloc Party der Fall war – warum hältst du dich trotzdem auf „Trick“ noch artig an Grenzen? Deine Tracks folgen doch immer fein dem Popschema.
Kele: Nun ja, bei der Produktion und dem Arrangement, da ist man halt freier. Popstrukturen halte ich trotzdem ein, weil ich einfach Popmusik mache – ich bin ein Songwriter. Ich habe auch ausufernde Housetracks gemacht, was spaßig war. Aber das wollte ich nicht auf einem Album haben. Ich bin ein Sänger und ich bin ein Songwriter. Es ging nicht darum, nur Clubmusik zu machen. Ich wollte auch Popmusik schaffen, die deine Mama hört und eventuell im Radio läuft.
MusikBlog: Naja, meine Mama würde, denke ich, nicht ganz mit den schlüpfrigen Lyrics auf dem Album d’accord sein. Apropros: Aus denen lässt sich nicht recht ziehen, was es mit dem Titel „Trick“ auf sich hat.
Kele: Der Begriff und seine Assoziationen kommen aus meiner Zeit in New York. Einige meiner Freunde bezeichneten dort ihren One-Night-Stand als „Trick“. Das war das erste Mal, dass ich diesen Ausdruck hörte, hing jedoch sofort an ihm fest. Ich mag die Idee dahinter, welche eine Täuschung impliziert. Dass es um Leidenschaft geht, wenn diese Leute intim zusammenkommen, sie sich jedoch bewusst sind, dass diese Leidenschaft begrenzt ist und nicht weiterführen wird. Trotzdem geben sie sich hin. Das Album an sich handelt entsprechend von dem Zusammenkommen und wieder Auseinandergehen von Liebhabern, so dass „Trick“ entsprechend eine passende Bedeutung bietet.
MusikBlog: Und wie handhabst du persönlich deine Arbeit, wenn du etwa für „Trick“ Songs komponierst? Hast du ein inneres Bild vor Augen, eine Szene, die du musikalisch unterlegen möchtest?
Kele: Ja, ganz genau so beginnt eine Arbeit. Ich habe eine Idee, schaffe eine musikalische Landschaft. Man braucht eine Art Rahmen, innerhalb dessen man sich bewegen möchte, eine Richtung, in die das Album gehen soll, mit ein paar gesteckten Grenzen.
MusikBlog: Was waren entsprechend dieser Rahmen, die Richtung und Szene in Hinblick auf dein neues Album?
Kele: Mit „Trick“ wollte ich ein Nachtzeit-Album schaffen, so ein 4Uhr-Ding. Ich habe in der Zeit viel DJ-Zeug gemacht und festgestellt, dass diese Spanne einen sehr einzigartigen Raum bildet. Jeder ist dann auf Drogen, zugleich aber auch frei. Das Publikum ist sehr nah und empfänglich für die Musik, das ist für sie fast wie ein Urbedürfnis, ein Urzustand. Das war meine Absicht und ich finde, dass die Musik diesen Zustand doch sehr gut wiedergibt.
MusikBlog: So zufrieden du mit deinem Schaffen klingst – was ist dein Anspruch an dich selbst, wenn doch nun jegliche Laien der Musikwelt mit ein wenig billigem Equipment Musik für die Masse produzieren können?
Kele: Der einzige Anspruch, den ich an mich selbst stelle, ist das Ehrliche hinter meinen Aufnahmen, die Authentizität. Für mich müssen die Sounds nicht zwingend neu klingen oder besonders innovativ. Ich achte nicht darauf, was andere Leute so machen. Es geht wirklich nur darum, was dich wirklich bewegt. So lange ich das garantieren kann, kümmere ich mich nicht um andere.
MusikBlog: Nicht zwingend neu, nicht innovativ, einfach ehrlich. Wie langwierig wählst du unter all den Ideen aus, die jenes erfüllen und es auf das Album schaffen?
Kele: Nun ja, vor allem habe ich da kein Konzept. Es dauerte zwei Jahre, das Album zu kreieren. Über die zwei Jahre hinweg war das Schaffen der Tracks ein fließender, sich ständig entfaltender Prozess. Es hätten auch fünf andere Tracks Einzug halten können, doch irgendwie wird dir mit dem Beginnen der Arbeiten an einem Album bewusst, wo die grobe Richtung hingehen soll, gefolgt von einer ständigen Herumschiebe- und -reglerei.
MusikBlog: Kannst du nach diesem Prozess ein Album als geschlossenes Kapitel ansehen, oder würdest du am liebsten weiter daran herumwerkeln und Tracks ändern?
Kele: Bis jetzt habe ich noch keine Dinge, die ich verändern möchte, außer vielleicht ein paar minimale Kleinigkeiten. Aber ich weiß schon, dass ich in etwa einem Jahr denke: Ach, hätte ich doch dieses oder jenes anders gemacht. Aber ich schätze, das ist ebenfalls ein Teil des Prozesses, einer jeden Aufnahme, die ich jemals gemacht habe. Wenn du jedoch nur noch Löcher in deinen alten Werken zu stopfen versuchst, ist es irgendwann nicht mehr deine Arbeit.
MusikBlog: Sicher, doch ist ein Werk generell mit seinem Erscheinen kein fertiges Ding. Gerade du übst dich ja fleißig in Remix-Produktionen. Geht es dir an die Substanz, wenn andere Künstler sich an deinen Songs versuchen, diese im Grunde ihrem Geschmack anpassen?
Kele: Ach nein, ich sehe es als positiv an, wenn andere dein Werk schätzen und darin etwas sehen, das du so gar nicht ausgemacht hast. Das ist das gute an Remixes: Sie offenbaren verschiedene Perspektiven auf die Musik. Ich habe gerade erst einen Remix für „Doubt“ gemacht. Nichts ist wirklich abgeschlossen, alles reinterpretierbar, ja.
MusikBlog: Es verletzt dich also nicht in deinem Künstlerstolz, wenn andere sich deiner Arbeit annehmen und diese scheinbar verbessern?
Kele: Nein, ich habe die Wichtigkeit von Remixen kennengelernt. Ich weiß, inwiefern sie Eindrücke von Musik erweitern können. Es ist ja nicht so, als würden die Leute dir deine Musik klauen und sich zu Eigen machen. Es ist vielmehr eine Ehre, dass Leute sich deiner Idee annehmen, daher begrüße ich es sehr, wenn sie dies tun.
MusikBlog: Wieviel Absicht steckt eigentlich dahinter, dass sich beim Lesen der Tracklist – beginnend bei „First Impressions“ hin zu „Stay The Night“ – scheinbar chronologisch eine Balzverhaltensgeschichte spinnen lässt?
Kele: Das ist ziemlich lustig, war aber nicht meine Intention. Mein Manager meinte ebenfalls, dass eine ganze Geschichte daraus abzuleiten wäre. Für mich stellt das Album vor allem zwei Hälften dar. Zum einen handelt es von den ersten unmittelbaren Momenten der Liebäugelei, zum anderen von der tiefen Sehnsucht und dem Verlangen, was hin zu Versprechen führt.
MusikBlog: Damit ist auch ein Unterschied zu deinem vorherigen Schaffen auszumachen: Du scheinst Gefühle um Einiges offener und indiskreter zu behandeln.
Kele: Ich denke tatsächlich, dass die Songs einfach besser sind (lautes Scheppern). Hallo, bist du noch dran? Sorry, ich habe mein Telefon fallen gelassen. Wo waren wir? Ah, ich denke, bei meinem nächsten Album werde ich genau das gleich sagen: Dass die Songs besser seien, weil sie einfach präsenter und frischer in meinem Kopf sind. Auf „Trick“ sind sie für mich zielstrebiger, befreiender.
MusikBlog: Sah das bei den Bloc Party-Alben ähnlich aus?
Kele: Ja, doch. Der Sprung zu „A Weekend In The City“ von „Silent Alarm“ hat gezeigt, dass das Songwriting und die Instrumentalkünste sich verbessert haben. Ich weiß noch, dass ich 2005 sehr enttäuscht von mir als Songwriter war. Trotzdem haben die Leute das Album sehr gefeiert. Dabei habe ich keinerlei Bezugspunkt zu den Zeilen, ich fühlte nichts, wenn ich sie sang. Es ging nur noch darum, um die Welt zu tingeln und das Publikum zu befriedigen.
MusikBlog: Hm. Mein Lieblingsalbum ist „Intimacy“.
Kele: Ach, tatsächlich? Meines auch! Für mich ist es das wichtigste Album, welches wir als Band hervorgebracht haben. Ich habe das Gefühl, dass es mich dahin gebracht hat, wo ich jetzt bin. Es war das erste Album, wo ich mich als Songwriter und mit den Elektronikelementen wohlfühlte.
MusikBlog: Wenn es dich also hierhin führte – wohin führt dich dein jetziges Schaffen in ein paar Jahren? Immer noch auf die Bühnen der Festivals, die Pulte der Clubs?
Kele: Bloc Party gibt es schon zehn Jahre. Es ist toll, kreativ sein zu können und ein Publikum zu haben, doch das ständige Reisen ist recht hart. Wenn du tourst, bist du zehn Monate nur mit dem Reisen beschäftigt. Als 20jähriger ist das natürlich großartig – doch ich weiß nicht, ob ich das in den 30ern so fortführen möchte. Ich denke definitiv, dass ich nach wie vor kreativ sein kann, jedoch nicht mehr im Tourbus meine Zeit verbringen werde.
MusikBlog: Du könntest also weiterhin schreiben.
Kele: Ich weiß nicht. Ich habe derzeit irgendwie Lust, mich auf etwas komplett anderes zu fokussieren. Etwas, in dem es nicht um Selbstausdruck geht. Als Musiker drückst du dich ständig selbst aus. Wie du dich fühlst und so. Da kommt schon die Angst hoch, dass du zu einer furchtbaren Persönlichkeit wirst, wenn du dich immer selbst zum Thema machst. Das möchte ich nicht. Ich möchte ein Gefühl für meine Mitmenschen haben. Ich denke, die letzten zehn Jahre waren toll – ich habe die Welt gesehen, Geld gemacht und viele Dinge erlebt. Aber ich frage mich, ob ich nun nicht etwas anderes machen sollte. Das ist nur ein kleiner Gedanke in meinem Kopf.
MusikBlog: Hast du denn eine Ahnung, was das sein könnte?
Kele: Noch nicht so recht, nein. Aber was kommt, das kommt. Ich habe da nicht so die Angst. Ich habe, wie gesagt, mit meiner Musik Geld gemacht. Ich fantasiere, dass ich einfach einmal alles stoppen und dann sehen kann, was das Leben noch so für mich bereithält.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.