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Tindersticks – The Waiting Room

Es ist ja ein wenig unübersichtlich geworden mit dieser wundervollen Band. Die Tindersticks haben derart viele Soundtracks, eine musikalische Untermalung einer Museumsausstellung sowie ein Compilation-Album in den letzten fünf, sechs Jahren veröffentlicht, dass man ihre wahre Stärke fast vergessen konnte: phantastische Alben.

Eine souveränere Melancholie, eine intensivere Intonierung von Gefühlslagen, ohne dabei aufbrausend, schäumend und laut zu sein, ist schwer zu finden am Firmament zeitgenössischer Popmusik. Und tatsächlich wirkt es wie eine Rückkehr, sich zu besinnen und die natürlich schönen Soundtracks und das Compilation-Album „Across Six Leap Years“ beiseite zu legen und sich zum Beispiel das letzte, neunte Album „The Something Rain“ von 2012, wieder zu Gemüte zu führen. Mein Gott, was für eine Band.

Ich mag zum durchaus furiosen Beginn der Tindersticks, ab anno 1993, noch nicht reif genug für diese Art Gefühlsmusik gewesen sein, doch bin ich nicht alleine mit der Auffassung, dass Stuart A. Staples’ Band wie guter Wein, wie reifender Whiskey, wie ein in Würde alternder Poet, von Album zu Album immer besser wird.

Mit ihrem zehnten Album erhält diese Einschätzung neue Nahrung. „The Waiting Room“ vereint die bekannten Stärken Stuart A. Staples’ Kunst: ein der Welt entrückter Klangkosmos, gelabelt als Chamber-Pop, weil er zumeist jazzig, bisweilen ganz zart und kleinlaut orchestral arrangiert wird. Die Tiefe, Magie und Transzendenz, die Staples zu evozieren versteht mit derart ruhiger, sparsamer und Zeit anhaltender Musik, ist jedes Mal aufs Neue atemberaubend.

Alles hat seinen wohlsituierten Platz auf „The Waiting Room“: Die Duette mit SavagesJehnny Beth („We Are Dreamers“) und mit der 2010 verstorbenen, sehr engen Freundin Lhasa de Sela („Hey Lucinda“), der jazzige Chanson als Closer, das Gänsehaut-Monstrum „Were We Once Lovers?“

Überhaupt: Dieses famose „Were We Once Lovers?“. Sich voller Melancholie und Elegie unbeantwortet zu Fragen, ob man dieses Gesicht da vor vielen vielen Monden einmal geküsst, diesen Menschen einmal geliebt habe, diesen Weg mal zu zweit gegangen sei, oder das Ganze nur ein fieses Schnippchen, eine nachträgliche Imagination, eine wirre Konstruktion der eigenen unzulänglichen Erinnerungsleistung ist.

Ja, man mag für die Großartigkeit der Tindersticks eine gewisse Lebenserfahrung mitbringen müssen, das macht Stuart A. Staples’ Musik aber nicht weniger formidabel. Schön, wenn Älterwerden auch Vorteile haben kann.

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