Man hätte noch Jahre von dem, was wir haben, zehren können. Aber Kendrick Lamar sprudelt, als hätte er den Quell der Inspiration gepachtet.
Seit seinem Major-Debüt und zweitem Studioalbum „good kid, m.A.A.d city“ vor gut fünf Jahren ist er der an Qualität, Komplexität und Relevanz unübertroffene Hip-Hop-Artist der Stunde. Mit seinem letzten Meisterwerk „To Pimp A Butterfly“ von vor zwei Jahren, merkten das dann auch die ganz großen Meinungsmedien und das Feuilleton der Zeitungen.
Nun liegt mit seinem vierten Album „DAMN.“ der dritte umfangreiche Output im dritten Jahr in Folge vor – letztes Jahr erschien seine „To-Pimp-A-Butterfly“-B-Seiten-Sammlung „untitled unmastered.“
Überbordender Output ist nicht unüblich im Hip-Hop, wenn es läuft. Und es ist, zu einem gewissen Grad, auch sein größter Makel. Es geht zu einfach. Hip-Hop ist eine schnell kreierte künstlerische Angelegenheit. Wie Portishead jahrelang über Samples und Songideen zu grübeln, hat die in Beats gepackte redselige Reimerei nicht nötig.
Selbstverständlich ist derjenige, der Hip-Hop zurzeit am Imposantesten zurück in eine substantielle Genre-Form rappt, nicht frei davon und will erzählen, erzählen, erzählen. Ob ein Album-Veröffentlichungs-Rhythmus von 2011, 2012 und nun 2015, 2016 und 2017 langfristig eher „Butterfly“ schadet oder dem jetzigen „DAMN.“ wird nur die Zeit zeigen.
Grundsätzlich gilt: Auch mit „DAMN.“ bleibt Kendrick Lamar der qualitativ beste Hip-Hop-Musiker der Gegenwart. Nach soghaftem Storytelling in postmoderner Romanstruktur („Good Kid“) und genre-sprengenden Jazz- und Funk-Metamorphosen des Hip-Hops („Butterfly“), kehrt Lamar hier wieder zu seinen Beat-Wurzeln zurück.
Kein organischer Band-Sound, schon gar kein Jazz, sondern mit wenigen Synthies kreierter, minimalistischer Beat-Boden, anfangs häufig der aggressive Trap-Beat der Südstaaten, gegen Ende immer mehr R’n’B-haftes, souliges Beat-Geblubber, determinieren „DAMN.“ und dienen Lamar als Kulisse für seine tiefgründigen gerappten Auseinandersetzungen mit seiner Welt.
Das macht Lamars Sound weniger gigantesk und somit sympathisch geerdeter – er ist der, über den sich alle das Maul zerreden, jetzt braucht er nicht mehr dick auftragen um Gehör zu finden. Inhaltlich ist die in „Butterfly“ voller Selbstzweifel begonnene Metamorphose eines Comptoner Ghetto-Kids, das es geschafft hat, hin zu einer Genre-Ikone und einem Meinungsmacher vollzogen.
Kendrick Lamar stellt sich dem Preis des Der-Welt-was-erzählen-wollens, nämlich seine Rolle als Superstar offen anzunehmen und diese mit Inhalt auszufüllen und ein kleiner Jesus, ein kleiner Messias zu sein.
„I’m so fuckin‘ sick and tired of the Photoshop/show me somethin‘ natural like afro on Richard Pryor/Show me somethin‘ natural like ass with some stretch marks“ heißt es in der starken Single „HUMBLE“ und dazugehörigem Normal-Arsch im ausgezeichneten Musik-Video – mögen jene von den negativen Seiten des Internets verzogene Teenager hinhören und -sehen.
Die R’n’B-haftigkeit, das The Weeknd– und Drake-Spektrum, in welches „DAMN.“ gegen Ende des Albums driftet, mag seine Konkurrenz in den Schatten stellen, allein – und dies ist der einzige Makel an diesem dritten hervorragenden Lamar-Album in Folge – es ist soundtechnisch weitestgehend ausgetretenes Charts-Land, keine bahnbrechende Genre-Verquickung, kein dreister Versuch, zu zeigen, was Hip-Hop alles kann.
„DAMN.“ ist ein Schuster-bleib-bei-deinen-Leisten-Album, trotz Rihanna– und U2-Gastauftritten. Den Unterschied macht allein die Tatsache, dass es eines ist von Kendrick Lamar auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens.