Die Graien aus der griechischen Mythologie teilen sich einen Zahn und ein Auge. Hätten die drei Schwestern auch auf eine gemeinsame Stimme zurückgreifen müssen, dann könnte diese geklungen haben wie die von Lydia Lunch im Jahre 2017.
Die Ausnahmekünstlerin war in ihren Vorträgen immer unverwechselbar. Wie gefährlich sie ihr Organ jetzt auf „Under The Covers“ um die Ecken schleichen lässt, dabei faucht, flüstert, die Wörter dehnt und die Silben quetscht, setzt den bisherigen Großtaten noch einen obendrauf.
In der dritten Zusammenarbeit mit dem Multiinstrumentalisten Cypress Grove nimmt sich die New Yorkerin Songs an, die sich in ihrer Zusammensetzung so sehr unterscheiden wie in dem Genre, in dem die Originale unterwegs waren.
Schlafende Riesen von Tom Petty, Elvis Costello oder Jim Morrison, Bekannteres wie “Ode To Billie Joe” von Bobbie Gentry oder Beiträge aus dem Kuriositätenkabinett eines Aaron Lee Tasjan werden hier zu grimmig-lodernden Blues-Versionen.
Das musikalische Konstrukt der Kollaborateure hat, wie schon auf dem letzten gemeinsamen Vorgänger “A Fistful Of Desert Blues“, signifikante Schnittmengen mit den diesbezüglichen Vorstellungen von Menschen, mit denen beide zusammenarbeiteten oder die in ihrer Kreativität Brüder im Geist sind und waren.
Die Nähe zum Blues-Reformator Jeffrey Lee Pierce findet sich natürlich auf der Platte, ebenso der Sound der Australien-Fraktion um Hugo Race oder Rowland S. Howard neben den spirituell durchsiebten Klangvisionen eines David Eugene Edwards.
Damit wird selbst Bon Jovis blutleere Outlaw-Hymne „Blaze Of Glory“ ein brauchbares Stück Musik. Selbst der eigene Back-Katalog ist vor Lydia Lunch nicht sicher, sie funktioniert ihr “Will Not Leave You Alone” hier in einen intensiven Folk-Song um.
Die Mundharmonika wimmert, das Schlagzeug schleift, das Kopfkino projiziert dazu Bilder von kreisenden Geiern, flirrender Hitze und staubigen Stiefeln. Der Post-Rock lärmt, die Hammond orgelt, nicht nur der Rausschmeißer „Low“ hat jede Menge von Cypress’ Nachnamen am Start.
„Under The Covers“ macht das, was Nick Cave mit seinen Bad Seeds auf „Kicking Against The Bricks“ veranstaltete. Hier wie da wussten die Neuinterpretationen nachdrücklich Eindruck zu hinterlassen.