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Vince Staples – Big Fish Theory

Das Internet ist ja ein großer unreifer Schulhof. Da war letzten Herbst eine brave, junge, christliche US-amerikanische Mutter – sorry – blöd genug, ihrer Entrüstung über einen im Radio gehörten Vince Staples Song („Norf, Norf“), via ihres sporadisch genutzten You-Tube-Channels (mittlerweile gelöscht), Luft zu verschaffen, und fertig war einer der viralen Fremdschäm-Internet-Clips des Jahres 2016.

An der Reaktion Vince Staples‘ aber ließ sich ablesen, mit welchem Rap-Kaliber es wir hier zu tun haben. Das brave, junge Muttchen empört sich beträchtlich und peinlich auf Video darüber, dass Musik früher viel besser war und vor allem darüber, was für furchtbar schreckliche Dinge Herr Staples da vom Stapel lässt, und das Ganze auch noch Airplay im Radio bekommt.

Sie hat nicht geschnallt, dass Staples ein krasser Ironiker ist, der zynisch-resignierend in „Norf, Norf“ die Lebensstiloptionen eines ungebildeten Schwarzen in seiner Ghetto-Heimat Long Beach, Kalifornien, galant zusammenfasst, und also im Grunde das Gegenteil eines gewaltverherrlichenden, sexistischen Rap-Songs darbietet.

Das war ein schöner Spaß, sich über dieses Video lustig zu machen und die junge Mutter als große Interpretationsdeppin darzustellen, die sie im Moment der entrüsteten Videoaufnahme tatsächlich war. Kann noch nicht mal den Sinn eines kritischen Rap-Songs verstehen, die Brave. Teilen macht Spaß.

Vince Staples, extrem jung, rap-technisch äußerst unflätig, flow-sicher und charismatisch, ein richtig linker Hund also, hatte zu der ganzen Chose lapidar nur eins zu sagen: Er finde es schwach, sich über die persönliche Meinung und Religion eines anderen Menschen lustig zu machen; einfach unreif.

Mit „Big Fish Theory“ erscheint nun das zweite Studioalbum eines der talentiertesten Rapper im derzeitigen Hip-Hop. Vor allem im Rap-Flow kann sich Staples mit jedem messen. Vielleicht ist Kendrick Lamar thematisch auf Dauer tiefgründiger oder facettenreicher, der Vergleich jedenfalls wird von jetzt an häufiger fallen, denn Vince Staples macht mit seinem zweiten Album Boden gut in der Rap-Rangordnung.

Der übermäßige Gebrauch karg-aggressiver Trap-Beats mag ihn noch von den großen Massen fernhalten, diese sind aber derart zwingend und abgestimmt zu Staples’ Rap-Stil, dass sich das Werk vom überwiegenden Rest US-amerikanischen Ghetto-Hip-Hops wohltuend entfernt.

Dass Kendrick Lamar, A$AP Rocky und, äh?, Bon Iver mitmachen, aber Staples sich von seinen Gästen nie die Show stehlen lässt, ist Fingerzeig genug: Der nicht kiffende und nicht trinkende 23-jährige Vince Staples aus den Problembezirken Long Beachs ist endgültig angekommen im Lager ernstzunehmender Hip-Hop-Musiker.

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