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Nick Cave And The Bad Seeds – Live in der Max-Schmeling-Halle, Berlin

22.10.2017, Berlin, Max-Schmeling-Halle. Um 20.30 Uhr taucht die Bühne in blaues Licht, ein kurzes Intro später begeben sich die Bad Seeds zu ihren Arbeitsgeräten. Schließlich erscheint unter frenetischem Beifall von Tausenden die Hauptperson des Abends: Nick Cave ist heute in jener Stadt zu Gast, unter deren geteiltem Himmel der Australier einst zur Kultfigur wurde.

Kaum angekommen, flutet er den Saal mit Charisma, organisch wie es kein Comic der Welt abbilden könnte. Nichts erinnert äußerlich an den gebrochenen Menschen, der gezeichnet vom Verlust seines Sohnes das erlittene Trauma in der finalen Produktion von „Skeleton Tree“ hörbar machte.

Dieses Album wird, zum Konzertauftakt beginnend mit „Anthrocene“, „Jesus Alone“ und „Magneto“, das Gerüst des Sets bilden und bis auf eine Ausnahme komplett gespielt werden.

Nicht nur Nick Caves schmerzhafte Zeile „I am calling you“ lässt dabei bestenfalls ahnen, wie sehr die Wunde in ihm weiter blutet, seine anfangs sehr dezent agierenden Begleiter unterstreichen diese Trauer wie ein dicker Strich Kajal.

Der Sound verdichtet sich, mit „Higgs Boson Blues“ schwillt der Lärmpegel an. Die Bad Seeds, bis dahin brav wie ein Ministrantenchor, geraten unter Regie von Warren Ellis in kontrollierte Raserei, erzeugen präzise kalkuliertes Getöse.

Ihr Sänger braucht indes längst keinen Platz mehr bei den Kollegen, ist unablässig am Bühnenrand unterwegs, drückt mehr Hände als der Papst bei Auslandsreisen. Mit unglaublicher physischer Präsenz lässt er zwischen sich und dem Publikum so wenig Platz wie der Namensgeber des Veranstaltungsortes einst zwischen sich und seinen Gegnern.

Cave wütet durch seine „Lovely Creatures“. Für „From Her To Eternity“ ist die ursprüngliche Version bestenfalls Beratungsmuster, das Vibraphon ein Amboss, die Töne aus Ellis’ Geige vom eigentlichen Verwendungszweck dieses Instruments Lichtjahre entfernt.

„Tupelo“ grollt vor der Kulisse peitschender Stürme, der Bericht aus der „Jubilee Street“ rast mit ICE-Geschwindigkeit aus den Boxen, die Segel für die Hymne „The Ship Song“ werden gesetzt.

„Into My Arms“ und zwei weitere „Skeleton Tree“ Nummern lassen ein wenig Zeit zum Innehalten, es folgen mit „Red Right Hand“ und dem unsterblichen „The Mercy Seat“ weitere Großtaten aus der Asservatenkammer.

Mit „Distant Sky“, im Duett mit der auf den Hintergrund projizierten Else Torp, und dem in fallende Schneeflocken gehüllten Titelsong der letzten Platte beenden die glorreichen Sieben den Hauptteil, um wenig später für ein furioses Finale zurückzukehren.

Nick Cave geht hier mit der Zeit, taucht während „The Weeping Song“ inmitten seiner Anhänger auf, dirigiert, sammelt auf dem Rückweg zur Bühne so viele von ihnen ein, wie vor seine Bad Seeds auf die Bühne passen, um sie bei „Stagger Lee“ zu Komplizen der Moritat in vorderster Linie zu machen.

„Push The Sky Away“ beendet schließlich das Konzert und schiebt jedenfalls für den Moment alles Dunkle, was über dem Kopf des Protagonisten und der Menschheit im Allgemeinen schwebt, beiseite.

Nick Cave And The Bad Seeds lieferten eine rauschende Messe, in der weder Zeit war, darüber nachzudenken, wie der „Weeping Song“ mit Blixa Bargeld und ohne die „Am Fenster“-haften Streichereinlagen klang, noch sich darüber zu wundern, dass das stets gesetzte „Deanna“ diesmal ausblieb.

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