Nachdem Will Varley sich auf seinem letzten Album „Kingsdown Sundown“ vorwiegend mit den politischen Geschehnissen aus dem Jahr 2016 befasst hat, möchte der britische Sänger nun mit seinem fünften Studioalbum „Spirit Of Minnie“ unter anderem daran erinnern, wie wichtig es ist, im Hier und Jetzt zu leben. Wir haben uns mit dem Musiker zum Interview getroffen und unterhielten uns über die Geschichte hinter dem Albumtitel, Einsteins Relativitätstheorie und die Vergänglichkeit seiner Musiklaufbahn.
MusikBlog: Nachdem du in „Kingsdown Sundown“ die Up und Downs von 2016 behandelt hast, wie war 2017 für dich?
Will Varley: 2017 war großartig, ein richtig gutes Jahr! Wir haben das Album aufgenommen, sind viel getourt und haben auf vielen Festivals gespielt. Es war richtig, richtig gut. Ich freue mich auf dieses Jahr!
MusikBlog: Wow, du bist einer der wenigen bisher, die mir das erzählen.
Will Varley: Natürlich könnte die politische Situation besser sein, aber das war schon immer so, mein ganzes Leben lang. Ich muss mich aber auf das Positive in meinem Leben konzentrieren, um gesund zu bleiben, ansonsten würde ich zu viel darüber nachdenken. Ich bin mir der politischen Weltsituation sehr wohl bewusst und versuche sie auch, so gut wie möglich in meine Musik mit einzubauen. Das ist etwas, was mir sehr wichtig ist. Aber man muss auch immer Zeit haben, über die guten Dinge im Leben nachzudenken, sonst wird es irgendwann zu viel.
MusikBlog: Wir leben in einer Zeit, in der es möglich ist, seine Meinungen offen zu vertreten. Ist das, was gerade passiert, dann nicht etwas erschreckend? Ist es das, was die Leute wirklich denken?
Will Varley: Es ist absolut erschreckend, ich stimme dir da vollkommen zu! Ich habe mir vor einigen Tagen mit einem Freund im Hotelzimmer die „State of Union Address“ angeschaut. Einige der Dinge, die Donald Trump dort gesagt hat, machen es so offensichtlich, dass er kein guter Mensch ist. Es beunruhigt mich, wie er zu den Ansichten kommt, die er vertritt.
Oder nimm Brexit. Es ist erschreckend, keine Frage. Ich will die Europäische Union nicht verlassen, ich bin gerne Teil Europas, ich mag, wofür es steht. Aber Menschen tun eben das, was sie tun. Es ist so schwierig in einem Land wie diesem eine Konversation darüber zu führen, weil es so viele Ansichten und Argumente dazu gibt.
Das Ding ist, Politik wurde mit den Jahren immer komplexer. Es gab Zeiten in der Geschichte, da war es etwas einfacher, die Geschehnisse um einen herum zu verstehen. Ich glaube sogar, dass wir möglicherweise mit Absicht bis zu einem Punkt verwirrt werden, an dem wir nicht mehr wissen, was wir sagen oder denken sollen. Das ist, glaube ich, das besorgniserregendste.
MusikBlog: Ist das die Message, die das neue Album vermitteln soll?
Will Varley: Ich habe nie eine Message, die ich vermitteln will, ich mag es nicht eine bestimmte Aussage zu treffen. Ich schreibe meine Songs einfach und weiß meistens nicht wie sie werden, bis ich sie letztendlich höre. Aber es gibt tatsächlich diese Textzeile, die ich den Leuten näherbringen möchte: „We are here. That is happening now“. Solange du eine Schachpartie hast, spiele sie…
MusikBlog: …und dein nächster Zug nennt sich „Spirit of Minnie“.
Will Varley: Exakt! (lacht)
MusikBlog: Wobei mein erster Gedanke tatsächlich Mickey und Minnie Mouse war.
Will Varley: Aha! Das ist vermutlich genau das, was Google dir auch sagt, wenn du danach suchst – Disney hat eben auch viel Magie! (lacht) Aber der Titel „Spirit of Minnie“ findet seinen Ursprung eigentlich in Minneapolis in Amerika. Ich war in einem Taxi und der Fahrer erzählte mir eine Geschichte über etwas, was er eines Nachts bei seinen Fahrten beobachtete. Es war vier Uhr morgens und er fuhr durch einen Schneesturm. Seine Geschichte berührte mich, denn ich war zu der Zeit an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich mich ziemlich einsam fühlte. Ich war zwischen den Tourneen ganz alleine in Amerika. Das Album trägt den Titel des gleichnamigen Songs – und der Song ist die Geschichte, die der Taxifahrer mir erzählte.
MusikBlog: „We were young then / But are we still young now?“ heißt es in „Seven Days”. Wie jung fühlst du dich, wenn du manchmal so in alten Erinnerungen schwelgst wie eben.
Will Varley: Diese Frage stelle ich mir manchmal tatsächlich selbst: Bin ich noch jung oder schon super, super alt? (lacht)
MusikBlog: Man sagt ja, dass die 30er die neuen 20er sind.
Will Varley: Stimmt, was ist schon alt! Aber ich glaube, du beantwortest die Frage für mich damit ganz gut. Es ist eine Sache der Definition. 30 Jahre sind sicher eine ganze Menge für eine Ameise oder eine Fliege, nicht wahr? Aber für einen Baum, nehmen wir mal eine Eiche, sind 30 Jahre doch nichts, immer noch super jung!
MusikBlog: Egal, ob jung oder alt, die Zeit ist laut deinem Song „Statue“ ohnehin bewegungslos.
Will Varley: Das stimmt! Es gibt doch diese Theorie in der Physik, dass die Zeit statisch ist und wir sie nur als bewegendes Objekt empfinden. Sie steht eigentlich still, glaube ich. Alles, was jemals passiert ist und noch passieren wird, geschieht eigentlich jetzt im selben Moment. Es gibt dazu sogar Experimente, die die Distanz im Universum bedenken und sowas. Deswegen glaube ich, die Zeit ist tatsächlich stillstehender als wir möglicherweise denken. Ich mag die Idee und es beruhigt mich auch in allem, was ich tue. Alles, was ich in der Vergangenheit gemacht habe, wird auf unendlich so weitergehen.
MusikBlog: Eine spannende Theorie! Genauso wie die, die du in „Insect“ aufstellst: „My parents made me out of alcohol and boredom“.
Will Varley: Na, stimmt doch, oder? Also glaube ich zumindest, ich war ja nicht dabei! (lacht) Dieser Vers kam mir einfach so in den Sinn, nachdem ich eines Tages aus dem Bus stieg und die Straße entlanglief. Ich weiß gar nicht mehr, woher das kam.
Dabei geht es in dem Song eher um die Menschlichkeit, ich singe über Menschen und Insekten. Wir schauen manchmal auf die Krabbeltiere und denken uns, dass die doch nichts verstehen. Aber genauso könnte die Sonne auf uns herabschauen und denken, dass wir ahnungslos sind. Und dann gibt es wiederum etwas, was auf die Sonne schaut. Oder andersrum: Die Insekten schauen vielleicht auf Bakterien und denken sich, dass diese kleinen Dinger doch keine Ahnung haben. Es ist diese Relativität, die mich wie bei der Zeit fasziniert. Ich interessiere mich für solche Sachen.
MusikBlog: So sehr, dass du es ganze sechseinhalb Minuten besingst. „Insect“ ist der längste Song auf der kompletten Platte.
Will Varley: Das war tatsächlich aus Versehen! „Insect“ und „The Postman“, beide sind ziemlich lang. Das liegt aber daran, dass sie ein großes Soundschema haben. Es hat wirklich Spaß gemacht, zusammen mit der Band und Cameron an dem Sound zu arbeiten und ihn aufzunehmen. Es ging mir einfach darum frei zu sein, in dem was ich mache, und mich weniger darum zu kümmern, wie ich es bisher gemacht habe.
MusikBlog: Aus diesem Grund diesmal erstmals mit einer Band?
Will Varley: Genau. Als ich die Songs geschrieben habe, konnte ich mir währenddessen einfach schon ein bisschen Schlagzeug und ein bisschen Bass dazu vorstellen. Ich habe das alles schon in meinem Kopf gehört. Deshalb erschien es mir ganz natürlich, dem zu folgen. Und ich muss dazu sagen, ich war so lange alleine und manchmal kann man die Dinge auch nicht zu einfach werden lassen. Ich glaube, man muss immer ein bisschen kreativ bleiben, sich immer leicht nach vorne bewegen. Das ist mir persönlich auch sehr wichtig.
MusikBlog: Immer nach vorne und immer weiter also. Dein Terminkalender für 2018 sieht jetzt ja schon ziemlich voll aus.
Will Varley: Stimmt. Aber das ist ok. Die Band, die ich jetzt habe, besteht aus wirklich guten Freunden von mir. Das wird das Touren ein wenig einfacher machen, weil ich Leute um mich haben werden, die meine Freunde sind. Ich war eine ziemlich lange Zeit alleine, aber Familie und enge Freunde freuen sich jetzt für mich. Es sind genau die Leute, die mich kennen, als ich von all dem hier nicht so viel hatte – nicht so viele Gigs, aber trotzdem immer auf Tour. Es ist das, was ich schon so lange machen wollte. Ich glaube aber auch, dass ich es nicht ewig machen werde.
MusikBlog: Nach dem Motto, eines Tages ist das alles hier vorbei?
Will Varley: Richtig. Aber ich mag mich nicht zu sehr in diesen Gedanken verharren, man findet immer etwas Gutes, in allem. Wenn die Leute irgendwann nicht mehr zu meinen Konzerten kommen, kann ich immer noch in den Pub bei mir die Straße runtergehen und dort ein paar Lieder spielen. Ich liebe es und solange ich eine größere Menge bespielen kann, dann ist das toll, aber wenn das alles mal vorbei ist, stört mich das, glaube ich, auch nicht zu sehr. Ich werde immer noch Songs schreiben. Aber solange ich für die Menschen schreiben kann, werde ich für sie schreiben, solange wie es sie interessiert.
MusikBlog: Und bis dahin lebst du im Hier und Jetzt.
Will Varley: So ist es. Egal, wie schlimm alles um einen herum gerade erscheint, was passiert gerade? Gerade stehe ich hier auf der Straße und rede mit dir. Ich schaue auf die Steine, auf das Holz und auf das Schild dahinten, wo „St. Andrew Square“ drauf steht. Das ist, was gerade für mich passiert, genau hier und jetzt, und das ist das, was zählt. Denn, wenn man das nicht im Auge behält und den Überblick verliert, würde man irgendwo in seinem eigenen Kopf steckenbleiben.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.