Von außen sieht das Gretchen ein bisschen so aus wie ein Supermarkt. Unscheinbarer Eingang, etwas abgeranztes Gebäude, passt eigentlich alles zum spätabendlichen Ausflug zum Kiezshoppping. Einzig die schwere Eingangstür und die sitzenden Türsteher zerbrechen das Bild an diesem Abend, an dem Tom Grennan im Berliner Klub aufreten soll. Naja, und vielleicht die Neonbeleuchtung, die hat man so auch noch nicht oft im Supermarkt gesehen.
Drinnen angekommen offenbart sich eine größere Masse, als man vielleicht erwartet hätte. Das ausverkaufte Gretchen präsentiert eine eindrucksvolle Menge, die vor der kleinen Bühne steht. Sogar links neben der Bühne sammeln sich die Menschen, um die Show im 90-Grad-Winkel zu erleben. Eine definitive Zielgruppe scheint Tom Grennans Musik nicht zu haben.
Vor der Bühne sammeln sich gleichermaßen weibliche und männliche Zuschauer*innen, die entweder Teens und Twens oder Mütter und Väter zu sein scheinen. Für Berlin wirken diese sehr normal. Glitzerndes Make-Up taucht nur in den seltensten Fällen auf und die Kleidung vieler erinnert eher an die Schulzeit als an die Neunziger.
Grennan selbst eröffnet das Set mit einem Song, der so auch in jedem Radioprogramm seinen Platz finden würde. „Royal Highness“ ist intensiv, eingängig und wie gemacht für die rauchige Stimme des jungen Briten, der in diesem Jahr sein Debütalbum veröffentlichte.
„Lighting Matches“ hat dabei genau das versucht, was „Royal Highness“ jedenfalls im Ansatz gelingt. Den Charme und die Rohheit des britischen Akzents und des Brit-Rocks mit einer Singer/Songwriter-Ästhetik und akutem Chartanspruch zu vereinen.
Vom Dreck vergangener Brit-Acts bleibt bei Grennan allerdings wenig übrig. Schon beim ersten Song wird ein Ritual eingeführt, das bis zum Schluss aufrechterhalten werden soll und Grennans Stimme immens entlastet. Gefühlt jeder zweite Satz wird dem Publikum überlassen, das Mikrofon der Menge entgegengehalten, die extrem textsicher ist.
In Zeiten von Streaming-Diensten ist es auch kein Wunder mehr, dass ein Act eine derart große Fanbasis ansammelt, ohne eine wirkliche Präsenz im regionalen Radio zu haben.
Bei Tom Grennan klappt’s, und so werden auch „Make ‚Em Like You“ und „Lighting Matches“ mit eben jener Inbrunst vorgetragen, die eigentlich keine ist. Die Begeisterung der Zuschauer*innen lässt sich trotzdem nur an zwei Dingen im Raum bemessen, der Größe der Discokugel, die über der Tanzfläche hängt und dem Ego des Künstlers. Alle drei sind exorbitant groß und scheinen einander weiter anzutreiben.
Als dann sogar das Hemd ausgezogen wird, kann sich keiner im Publikum mehr zurückhalten und klatscht laut in die Hände. Auch eine Möglichkeit, dem plötzlichen Entblößen eines Künstlers zu begegnen.
Zwei Atmosphären begleiten den Auftritt an diesem Samstagabend im Gretchen. Die eine fühlt sich an wie der Aufbruch, ist für diejenigen relevant, die diesen Auftritt Grennans für einen historischen halten, in einem Atemzug zu nennen mit frühen Auftritten von Ed Sheeran im Jahr 2012.
In Zeiten von James Bay und George Ezra scheint auch beinahe jedem Singer/Songwriter mit passablem Hit und einer kleinen Portion Glück der kometenhafte Aufstieg sicher. Tom Grennan scheint aber etwas zu fehlen, um in diese Riege aufzusteigen, was die Atmosphäre für die anderen beschreibt, die sich dessen bewusst werden.
Wo bei Ed Sheeran jedenfalls anfänglich noch etwas eigenes Engagement und Individualität den Ton angaben, baute Grennan schon vor dem ersten Album das wenig sagende Image eines Künstlers auf, dessen Songs kaum weniger authentische Geschichten erzählen könnten. Dabei entstehen dann Gassenhauer wie „Run In The Rain“ und „Maschendrahtzaun“-Neuauflage „Barbed Wire“.
Klar, bis zum Ende wird das Mikrofon der Masse entgegengestreckt, die begeistert reagiert, wenn der Brite über Liebe, Freundschaft und so weiter redet. An einer Stelle fragt er sogar, ob Mütter im Raum seien. Tom Grennan möchte wirklich Musik für jeden machen, Volksmusik mit Lederjacke.
Ein paar Hits („Found What I’ve Been Looking For“, „Something In The Water“) noch und alle dürfen nach Hause. Die einen glücklich und im Glauben, Zeuge eines geschichtsträchtigen Events gewesen zu sein, die anderen etwas gelangweilt – und in der Minderheit. Pop-Bombast mit Gitarre, wahrscheinlich bald im nächstgrößeren Saal.