13. Oktober 2010, Haus Auensee, Leipzig. Grinderman hatten sich angesagt, doch ihr Support sorgte dafür, dass sich die Altherren-Riegen um Nick Cave ordentlich ins Zeug legen musste, um mit dieser Performance Schritt zu halten.

Anna Calvi, von Brian Eno und David Byrne geförderte Ausnahmemusikerin aus England, war seinerzeit Act der Stunde, ihr gerade erschienenes Erstwerk Maß aller Indie-Dinge.

Inzwischen ist die Britin eine der elaboriertesten Künstlerinnen überhaupt, Stilikone sowieso, in den Feuilletons so gefragt wie bei der akustischen Begleitung der London Fashion Week.

Am Freitag kam sie zurück in die Stadt, es gilt „Hunter“ zu promoten, im Sommer erschienen und Manifest für weibliche Selbstermächtigung und Erweiterung gängiger Interptetationen des Gender-Begriffs.

Zeitig betritt die Protagonistin die Bühne. Betritt ist allerdings nicht treffend, die zierliche Frau in rot-schwarz wird für die nächsten 90 Minuten die Bühne samt des um einige Meter ins Publikum ragenden Vorbau mit Präsenz, Aura und Charisma gänzlich füllen.

„Rider To The Sea“, Einsteiger von der ersten, nur ihren Namen tragenden, Platte führt in den Abend ein. Anne Calvi macht ihre mehrere Oktaven umfassende Stimme, die scheinbar mühelos den letzten Winkel des sehr gut gefüllten Conne Island auszufüllt, startklar, begrüßt ihre Fender-Telecaster wie einen alten Freund.

Die Beziehung zu ihrem Arbeitsmittel wird in der Folge die Show beherrschen. Nicht für umsonst nominierte MusicRadar die studierte Musikerin aus Twickenham 2018 für die „Best Alternative Guitarist“ Auszeichnung 2018.

Das Instrument wird stehend, kniend oder liegend gespielt, geschlagen, mit einer Bierflasche bearbeitet und triumphierend in die Höhe gehalten, vor allen Dingen aber Referenzobjekt für die Hohe Schule des Gitarrenspiels sein, einer Kunst, die vermutlich derzeit wenige so beherrschen wie sie.

„Swimming Pool“ führt sanft in die Stücke der aktuellen Platte ein, die, unterbrochen vom epischen „Suzanne & I“ und „I´ll Be Your Man“ vom Debüt, fast in Gänze zu hören sein wird, Stücke von „One Breath“ fehlen im Set gänzlich.

Ob schwelgerisches Titelstück, satt-bassiges „Indies Or Paradise“ oder „Don`t Beat The Girl Out Of My Boy“ mit seiner Pop-Affinität: Anna Calvi ist in einem obsessiven Rausch, ist physisch und psychisch im Bann ihrer Musik, schreit, flüstert, windet sich auf den Laufsteg zwischen den Zuhörern.

Interaktion mit diesen erfolgt, mit Ausnahme einiger „Danke“ und der Vorstellung ihrer Begleiter, nonverbal, ihr Blick gleitet so selbstbewusst wie provokativ in die Runde, wissend der Kraft, die sie hier ausstrahlt.

„My mind is free“ zischt sie und „you can`t stop me“ – ersteres stellt niemand in Abrede, zweiteres würde den Anwesenden nicht im Entferntesten in den Sinn kommen.

Dennoch verabschiedet sich Anne Calvi mit „Alpha“ zeitig, um im Nachgang noch das hymnische „Desire“ und den, auf der „Strange Weather“-EP platzierten, brodelnd-entfesselten Suicide-Klassiker „Ghost Rider“ abzuliefern.

Leider ist kurz vor zehn schon wieder Schluss. War das ein Konzert? Eher genrefreie Oper zwischen exzessiven Gitarren-Sound, melodiöser Verletzlichkeit und tiefen Drama. Großartig!

Schreibe einen Kommentar

Das könnte dir auch gefallen

Album

The Unthanks – In Winter

Album

Big Mountain County – Deep Drives

MusikBlog Newcomer

MusikBlog Newcomer Workshop – Songwriting

Login

Erlaube Benachrichtigungen OK Nein, danke