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Ich habe die Eissorten brutalisiert – Acht Eimer Hühnerherzen im Interview

Fühlt man sich angelockt von diesem Bandnamen oder abgestoßen? Schwer zu entscheiden, aber hängengeblieben ist er schon mal. Acht Eimer Hühnerherzen – ein Trio aus Berlin mit soundästhetischem Nylon-Saiten-Dogma. Klingt kompliziert, stellt aber vor allem eine der bezauberndsten deutschsprachigen Spleen-Pop-Bands dieses Jahrzehnts dar.

Die Abwesenheit des Besonderen bei deutschsprachiger Musik ist der Mühlstein, den man sich täglich zusammen mit den Kopfhörern überwirft. Hört man allerdings, der junggebliebene Papa Schlumpf der Punkszene, also Johnny Bottrop (Jacho) von der Band Terrorgruppe, unterhält ein neues Trio mit singender Gitarristin (Apocalypse Vega) und Schlagzeuger (Bene Diktator)… nun ja, da setzt sich nun auch nicht unbedingt der Glaube durch, gerade hier Abhilfe zu finden.

Bestenfalls lässt sich in dieser Konstellation fluffiger Power-Pop für mal kurz dazwischen vermuten. Alter, wie sehr kann man sich noch irren? Hier passt einfach alles. Die Stimme, die komprimierte Instrumentierung, dieser freundliche, fast zärtliche Vibe der Drei auch über die Bühne hinaus – und vor allem natürlich die rasend guten Texte, die „Roibusch-Tee“ auf „Die neue Foo-Fighters-CD“ reimen. Wie konnte es bloß soweit kommen? Anlässlich ihrer ersten großen Tour trafen wir die drei sonderbaren Spechte, um es herauszufinden. Im Café – nicht bei Wienerwald.

MusikBlog: Dass es bei Acht Eimer Hühnerherzen spezieller zugeht als anderswo, das merkt man als Hörer ja ziemlich schnell. Wo hat das denn alles seinen Anfang?

Vega: Ich habe Jacho live gesehen mit einer seiner Bands… Berlin Diskret, waren das. Nach dem Konzert habe ich ihn angesprochen. Wir kannten uns bis dahin nur vom Sehen, aber ich habe ihm mal erzählt, dass ich auch so bisschen Gitarre spiele. Darauf haben wir uns im Park verabredet. Zum Gitarre spielen eben.

Jacho: Und getroffen haben wir uns mit den Fahrrädern beim Hühnermörder…

MusikBlog: Was ist das denn bitte?

Jacho: Das ist ein Hühnerhaus, wo es so Billighähnchen für 2,- Euro gibt. Das nennen in Berlin alle nur Hühnermörder.

Vega: Unser erstes Lied war dann jedenfalls „Eis auf Ex“.

Jacho: Das ging alles ganz flott. Vega hat losgelegt beim Schreiben, und ich habe dann noch mal die Eissorten in der zweiten Strophe brutalisiert.

MusikBlog: Entschuldige, „brutalisiert“?

Jacho: Ich habe die abwegigeren Sorten eingefügt, das Zwiebeleis und so. Seitdem heißt es bei uns brutalisieren: Eine Situation in ihr Gegenteil umkehren, aus etwas Traurigem etwas Fröhliches machen, aus einem harmonischen Moment den Ärger rauskitzeln.

MusikBlog: Also ihr habt zusammen im Park brutalisiert…

Jacho: Ja, und immer, wenn wir uns wieder getroffen hatten, kamen neue Songs dazu. Dann gab es die Idee: „Komm, die geben wir jetzt an richtige Musiker!“ Guter Plan, wir stehen im Park…

Bene: …und werden reich durch Tantiemen.

Jacho: Dann meinte Vega aber, nee, wir suchen uns doch einen Schlagzeuger und machen es selbst!

Vega: Also ich wollte eigentlich gar nicht singen, aber dann habe ich Bene kennengelernt.

Bene: Ja, wir haben an dem Abend rumgeprollt, dass wir beide so gut Tischtennis spielen können und uns für den nächsten Tag verabredet. Trotz sehr schweren Katers haben wir das dann auch durchgezogen.

Vega: (vorwurfsvoll): Du hast gewonnen!

Bene: Bis zur ersten Probe hat es dann noch gedauert, aber so ging es los.

MusikBlog: Also einmal Eis essen im Park, einmal Tischtennis – klingt auf jeden Fall viel gemütlicher als Popakademie. Aber ein viertes Bandmitglied ist kein Thema – liegt das im Sound-Dogma begründet, dass die Gitarre bei euch nur Nylon- keine Stahlsaiten haben soll?

Vega: Das Schöne an Nylon-Saiten ist ja, dass es auch immer bisschen nach Klavier klingt, E-Gitarren sind außerdem viel zu groß – und wer sollte das denn noch spielen? Denn vier kann ich nicht! Also wenn, dann fünf.

Jacho: Es ist einfach genau richtig zu dritt für uns. Ich habe Vega damals Bands aufgenommen, die auch Trios sind, Violent Femmes, Minutemen und so. Außerdem vertritt sie sehr stark eine Zahlentheorie.

MusikBlog: Aber nicht so Richtung: Zählzwang? Und dass Du auf keine geraden Treppenstufen steigen kannst?

Vega: Doch, aber das nur, wenn’s mir schlecht geht. Ganz wichtig sind mir Quersummen!

Jacho: Vegas Zahlentheorie ist nur ein Aspekt, ich sehe uns als kleines fragiles Ökosystem. Wenn man nur eine Stellschraube ändert, dann ist plötzlich eine Riesen-Algenblüte im Teich und alle Frösche sind tot.

MusikBlog: Also ist dieser spezielle Sound gar kein Konzept als solches, sondern die Folge von euren Vorlieben und Theorien?

Jacho: Genau, es ist einfach so passiert, aber dann haben wir es absichtlich so gelassen.

MusikBlog: Mich hat erstmal dieser Bandname auf euch gebracht. Ein Redakteur reichte mir eure Debüt-CD rüber: „Hab ich mir nicht angehört, aber der Name klingt so bescheuert, könnte dir vielleicht gefallen!“

Bene: Gute Ansage! „Klingt so scheiße, könnte was für dich sein.“

MusikBlog: Nicht wahr? Über diese Assoziation war ich auch total empört, andererseits hatte er mit der Musik ja komplett Recht. Nicht mit dem Namen allerdings, ich esse kein Fleisch, mich hat das mit den Hühnerherzen eigentlich eher angekotzt.

Vega: Ich esse auch kein Fleisch – aber ein Name, das ist doch Sprache, das ist Kunst. Für mich steht da nichts mit Fleischkonsum dahinter. Unsere Vorstellung ist eher ein bestimmtes Bild. Herzen von nicht fliegen-könnenden Vögeln – und wie dramatisch das ist.

Jacho: Genau, das ist es. Es sind die zu Hunde- und Katzenfutter bestimmten, letzten Überbleibsel von Vögeln, die nie in ihrem Leben geflogen sind und nie auch nur einmal einen Sonnenstrahl gesehen haben. Das ist so ein existenzialistischer, tieftrauriger Gegensatz zu unserer ansonsten doch eher fröhlichen Musik.

Du bist aber nicht der einzige, dem der Name zu weit geht, das habe ich schon in einigen Punk-Fanzines gelesen. Punk-Fanzines wohlgemerkt! Wenn man da schon keinen Sinn mehr hat für Provokation… Ist heutzutage aber allgemein schlimm, dass die Leute gar nicht mehr kapieren wollen, was Kunst ist.

Also, wenn ein Künstler sagt: „ich vergewaltige deinen Pudel“, dass er das in der Realität aber gar nicht vorhat. Es ist ein Mittel der Performance und des Ausdrucks. Nichts anderes sehe ich in unserem Namen. Aber alles soll heute bloß noch die Realität beschreiben, das ist doch der falsche Weg! Wo bleiben da die kreativen Zwischenwelten, die Zahlenwelten?

MusikBlog: Guter Punkt, gehört die Zahl „Acht“ im Bandnamen dann auch in eure Zahlenwelt? Die ist aber doch nicht mal ungerade…

Vega: Am Anfang waren es zwei, dann fünf. Dann wollte aber Jacho mehr – und wir waren bei acht. Das ging auch! Also mit mir. Weil die Acht eine besondere Stellung besitzt. Die Acht fällt raus, die Acht ist zwar eigentlich eine gerade Zahl, aber es ist die einzige, die sich behaupten kann. Okay, klingt ja total lächerlich, wenn ich sowas sage.

Jacho: Ach, Quatsch. Ist doch total sinnvoll, wir bringen alle unsere Spleens in die Band ein. Darf ich die Zahlenmagie von unserem letzten Studiobesuch erzählen?

Vega: (lacht)

Jacho: Wir wollten immer so aufnehmen, dass wir aus jedem Studiotag mit einer ungeraden Anzahl aufgenommener Songs rauskamen. Leider gab es einmal aber ein großes Drama, weil versehentlich ein Stück überspielt wurde. So standen wir abends mit sechs statt den avisierten sieben Liedern da. Das ist der Grund, warum Erich Mühsam auf der Platte ist, wir haben sein Gedicht „Jeden Abend“ als Spoken Word vertont, um auf die richtige Zahl zu kommen.

MusikBlog: Vega, in dem Video zu „Eisenhüttenstadt“ wirst du stuntfrau-mäßig auf das Dach deines Autos geschnallt. Angst gehabt?

Vega: Klar, aber das wollte ich ja. (lacht) Allgemein hatte ich das Bedürfnis, unbedingt mal auf meinem Auto zu sitzen bei der Fahrt, das kennt sicher der ein oder andere.

MusikBlog: Klar, sonst sitzt man immer nur drin – wie ein Trottel!

Vega: Und als ich das mit zwei Freunden auf dem Land dann tatsächlich realisieren wollte, bot es sich an, das auch zu filmen.

MusikBlog: War das mit dem TÜV abgesprochen?

Vega: (empört) Nein! Aber alles ganz sicher mit Kabelbindern festgemacht. Also ich würde es auf jeden Fall noch mal machen – und schneller!

MusikBlog: Wenn ich besoffen bin, spiele ich den Leuten auf dem Handy mittlerweile immer genau dieses Video von „Eisenhüttenstadt“ vor – und dann noch „Mittelmaß“. Bis jetzt hat es noch jedem einzelnen gefallen, keiner kannte es vorher. Allerdings heißt es öfters: „Oh, klingt ein bisschen wie Wir sind Helden!“ Ich bin dann beleidigt, allerdings kann man den Link auch verstehen. Wie sind denn eure Berührungspunkte mit Pop?

Jacho: Das ist zumindest nichts, was wir selbst hören. Von den ganzen mit Sängerin, da kämen für mich als Verweis höchstens Lassie Singers in Frage – oder vielleicht noch Ideal, Hans-A-Plast, Kleenex… Aber okay, ich weiß, dass der Schlagzeuger von Wir sind Helden uns auch mitbekommen hat und bei einem Konzert zum Spähen war.

Bene: Das mit Wir sind Helden haben mir aber auch schon paar Leute gesagt. Ach, gegen guten Pop an sich, ist auch nichts zu sagen.

Jacho: Naja! … Blondie vielleicht.

Bene: Ja, auf Blondie können wir uns alle einigen. Wir haben jedenfalls poppige Momente.

Vega: Genauso wie schlager-eske.

Bene: Punk ist ja oft auch nicht mehr als schnell gespielter Schlager.

MusikBlog: Jacho, du hast schon so viel gespielt und getourt. Hat sich da für dich was verändert über die Jahre, du hast ja jetzt schon eine Fünf vor dem Komma.

Jacho: Ich habe mittlerweile eher mehr Bock, allerdings habe ich meinen Lifestyle ändern müssen. Früher mit Terrorgruppe in den 90er Jahren … da war man eigentlich nie nüchtern. Wochenlang unterwegs – nicht einen Tag abgesetzt. Heute sehe ich das relaxter. Ich kann mir ja selbst nicht diese alten Punk-Stars live im Wild At Heart anschauen, die aussehen aus wie 70-jährige Opas.

Ich trinke also kaum noch – außer ich treffe bestimmte Freunde und wir hören die Nacht über bis morgens um halb zwölf einfach mal nur Thin Lizzy. Wenn dann richtig, also richtig schlimm! Denn nur immer das eine Bier trinken, das ist was für Bausparkassen-Angestellte. Aber Musikmachen ist mir längst wichtiger als die Sauferei.

MusikBlog: Schon mal daran gedacht, mit Terrorgruppe und Acht Eimer Hühnerherzen eine gemeinsame Tour zu spielen?

Vega: (überzeugt): Das möchte ich nicht! Das ist nicht meine Musikrichtung.

Jacho: Obwohl du rumgepogt hast auf einem Konzert. Man erkennt Apocalypse Vega daran, dass sie am Ende eines Punkkonzerts mit blauen Flecken übersäht ist.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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