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Pop ist gelebte Diversität – Die Türen im Interview

Als Die Türen Anfang des Jahrhunderts ein Label suchen, will keines die avantgardistische Popband aus Berlin verlegen. Also gründet Sänger Maurice Summen zusammen mit Gunther Osburg sein eigenes Label, nennt es Staatsakt wird so zum Inbegriff kreativen Postpunks. Das – je nach Zählung – fünfte bis achte Album „Exoterik“ bewegt sich nun mehr denn je fort vom Mainstream und macht ihn gerade deshalb auch für den Massengeschmack schiffbar. Ein Interview mit dem 44-jährigen Wahlberliner über Humor im Studio, störende Textmengen, und warum man beim Hören seiner Platte prima nebenbei auf Twitter klugscheißen kann.

MusikBlog: Maurice, ich habe Schorsch Kamerun und Ted Gaier gerade gefragt, ob es bei den Aufnahmen zum neuen, extrem missmutigen Album der Goldenen Zitronen eigentlich auch mal was zu lachen gibt.

Maurice Summen: Gute Frage, und?

MusikBlog: Gibt es. Bei euch hingegen würde die Frage eher lauten, ob es im Studio der Türen eigentlich dauerndes Gelächter gibt.

Maurice: (lacht tatsächlich) Manchmal schon, wieso?

MusikBlog: Weil „Exoterik“ mehr noch als die Alben zuvor klingt wie Krautrock gewordener Dadaismus, der sich scheinbar überhaupt nicht ernst nimmt.

Maurice: Für mich ist Dada eine ernstzunehmende literarische und künstlerische Bewegung, kein Karnevalsverein! Aber klar, manchmal ist Humor ein Mittel zum Überleben. Bei uns würde ich ihn aber gern durch den Begriff der Spielfreude ersetzen. Die entstehende künstlerische Freiheit hilft dabei, nicht nur andere zu überraschen, sondern immer wieder auch uns selber.

MusikBlog: Diese Freiheit war schließlich der Gründungsimpuls deines Labels staatsakt.

Maurice: Für die Türen gibt es kein Business-Modell, keinen Erfolgsdruck, kein Management im Nacken. Nach dem letzten Album „Wir sind der Mann“ vor fünf Jahren haben wir uns aber dennoch darauf geeinigt, beim nächsten Mal unbedingt an einen Ort außerhalb von Berlin zu fahren, um uns voll aufeinander zu fokussieren.

MusikBlog: Disziplinierung durch Kasernierung.

Maurice: Vor allem ohne vorgefertigte Kompositionen! Wir wollten die Platte unbedingt im Kollektiv entstehen lassen. Dafür ist so ein Genre wie das, was die Britten einst Krautrock nannten, perfekt; die Musik kann man nicht am Schreibtisch notieren, die muss als Gruppe im mäandernden Prozess entstehen. Einfach laufen lassen…

MusikBlog: Ähneln die repetitiven Textfragmente deshalb eher Bassläufen als Refrains?

Maurice: So hat es sich ergeben. Der Platz für mehr Text wäre ja da gewesen, aber wir hatten überhaupt kein Bedürfnis nach dem Narrativ klassischer Pop- oder Rocksongs. Eine Idee war es, den Raum der Musik nicht durch dauernde Vorträge des Sängers zu beschränken. Obwohl wir ja eine Gruppe von Songwritern sind.

MusikBlog: Wenn der Raum dann aber nur noch durch Dreiklänge wie „Miete, Strom, Gas“ gefüllt wird, gerät es doch arg kryptisch…

Maurice: Zumindest in Ballungsräumen ist die gentrifizierte Lebenswirklichkeit mit diesen drei Worten doch ausreichend beschrieben.  Da finde ich mich im Cloud-Rap wieder, wo Künstler wie Yung Hurn zuletzt auch mit extrem wenig Text auskommen und doch sehr viel zu sagen haben. Die hohe Kunst des Weglassens! Trotzdem hat der fleißige Liedermacher mit seinen 83 Strophen natürlich nach wie vor die gleiche Existenzberechtigung wie wir.

MusikBlog: War es denn eine bewusste Entscheidung, sprachlich so reduziert zu sein?

Maurice: Schon, aber dann ist alles so aus mir heraus geflossen. Ich weiß zum Beispiel gar nicht mehr genau, was mit der Phrase „Bildungsbürgerliche Ideale“ gemeint ist, die ich in „BBI“ mantra-artig wiederhole; das kam einfach hoch und passt.

MusikBlog: Klingt ein bisschen beliebig.

Maurice: Würde ich nicht sagen. Alles, was auf der Platte zu hören ist, wurde von allen Beteiligten noch redigiert, editiert, von Nonsens befreit und dabei von sieben auf zwei Stunden eingekocht. Das war schon ein ganzes Stück Arbeit!

MusikBlog: Bewegt ihr euch dabei überhaupt noch strikt entlang der Harmonielehre oder landet ihr irgendwann auf dem Ultraschall-Festival, wo Musik nur noch am Rande wie Musik klingt?

Maurice: Nein, nein. Wir arbeiten viel mit modularen Systemen, um die sich Andreas Spechtl, der diesmal keine Gitarre spielt, gekümmert hat, und interagieren dadurch viel mit Maschinen. Trotzdem sind Die Türen im Kern noch eine Rock’n’Roll-Band, die sich gerade nur nicht am Dreiminutendreißig-Song orientiert. Für uns sind Can genauso wichtig wie die Beatles!

Aber wichtiger ist, dass es uns wie beim Jazz um eine Gruppendynamik ging, die im Alltag seltener wird; darum geht es ja auch in sozialen Medien. Aber gemeinsam mit guten Freunden einen Raum zu betreten, macht dann am Ende eben doch einen entscheidenden Unterschied… Aber zurück zu deiner Frage: Das Album ist am Ende für mich keine Avantgarde, sondern eine Pop-Platte!

MusikBlog: Dafür wird sie zur Mitte hin ja auch viel zu rhythmisch, fast tanzbar.

Maurice: Wir haben mit Chris Imler einen der tollsten Drummer des Landes! Er allein weiß eine Party zu bewegen! Was mich an der Gesellschaft gerade generell stört, ist dieser Drang, immer nur pointiert und super zugespitzt zu kommunizieren und alles, was man im Kopf hat, sofort raus lassen zu müssen!

Eine Kommentar- und Affektkultur! Schweigen ist überhaupt nicht angesagt!  In dieser affektiven Aufmerksamkeitsindustrie, die dank Clickbaiting und Streamingdiensten bald nur noch Songs von 1:40 Länge zulässt, muss man sich mal wieder den Raum zur undifferenzierten Fläche geben. Wie toll fand ich es früher, sich einfach mal ohne Ziel treiben zu lassen!

MusikBlog: Als Produzent oder Konsument?

Maurice: Beides! Man kann sich voll auf unser Album konzentrieren, darf aber nebenbei auch gern ein bisschen bei Twitter klugscheißen. Wir sind bewusst mehrdeutig und wenn wir „lass uns Rasenmähen“ singen, auch gerne mal dadaistisch! „Lass uns Rasen mähen“ ist ja nicht gerade das religiöseste aller Mantren!

Und um nochmal auf den Humor zurückzukommen: Er ist manchmal ein Bindeglied, das besonders deutschen Bands gut zu Gesicht steht. Wenn ich mich bei euch in Hamburg auf der Diskurs-Ebene umsehe, finden ich mich am ehesten bei Knarf Rellöm wieder, bei dem oft auch niemand weiß, wie ernst es ihm eigentlich ist: Fehler ist King!

MusikBlog: Er würde es sich allerdings schwer verbitten, unpolitisch zu sein…

Maurice: Garantiert, auch er jubelt einem das Politische eher mal unter.

MusikBlog: Wenn du dir nach dem organischen Entstehungsprozess dieser Platte vorstellst, die nächste zu machen – ginge das überhaupt noch so strukturiert wie üblich im Songwriting?

Maurice: Da bin ich mir ganz sicher! In zwei Monaten erscheint zum Beispiel „Baked Beans“ von Ramin Bijan, Johannes von Weizsäcker und mir, eine astreine Kinderplatte, nur Songs, Songs, Songs. Das Gleiche gilt für meine Band Maurice & die Familie Summen. Wir arbeiten ja alle auf so vielen verschiedenen Baustellen, dass unser Herz für Songs wegen so einem Konzept-Album ja nicht verloren geht. Ganz im Gegenteil!  Ich kann mich ja auch privat gut und gerne stundenlang von Rappern zutexten lassen, muss dann allerdings auch irgendwann wieder sowas wie Jazz oder Noise hören, der mich auf textlicher Ebene in Ruhe lässt. Oder ein herzerwärmendes Soul-Stück. Pop ist gelebte Diversität!

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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