Wenn der Duden bebildert wäre, dann müsste unter dem Eintrag zu Multitasking eigentlich ein Foto von Half Moon Run sein. Denn keiner der vier Kanadier beschränkt sich nur auf ein einziges Instrument:
Connor Molander zum Beispiel befindet sich in einer ständigen Rotation zwischen Klavier, Gitarre, Bass und Pedal Steel. Mitten in den Songs tauscht er in Sekunden Gitarre gegen Bass, spielt parallel dazu Klavier und intoniert nebenbei jede Phrase in Perfektion.
Aber Connor Molander ist damit bei Half Moon Run keine Ausnahme. Oft muss man genauer hingucken, um überhaupt zu verstehen, was da gerade auf der Bühne passiert.
Wenn Isaac Symonds die Bassdrum auslässt, wird sie eben von Dylan Phillips gespielt. Und wenn Molander gerade die Hände voll Gitarren hat, dann spielt eben Phillips rechte Hand Schlagzeug und die linke Klavier.
Das Bemerkenswerte ist, dass es zu keiner Zeit so kompliziert klingt, wie es aussieht. Das liegt zum Großteil daran, dass Half Moon Run trotz dieser Komplexität ihr gesamtes Set lang unglaublich tight klingen. Wüsste man es nicht besser, man könnte glauben, man sei im Studio.
Das Kölner Publikum dankt es den Kanadiern mit Euphorie und andächtiger Stille in den richtigen Momenten.
„Wir versuchen jetzt mal etwas Akustisches. Ich glaube, wir haben das noch nie in einer so großen Location gemacht. Aber das wird schon klappen.“:
Zu „Sun Leads Me On“ versammeln sich alle vier am Bühnenrand vor einem einzigen Mikrofon. Es ist nicht nur akustisch ein absolutes Highlight, wie die Vierstimmigkeit sich zu den wunderschönen Harmonien verbindet.
Auch visuell sind Half Moon Run wie ein gut funktionierendes Uhrwerk. Genau in den richtigen Momenten lehnen sich alle zum Mikrofon, um dann synchron zurückzutreten, um Platz für den Solopart von Devon Portielje zu machen.
Zahnräder, die perfekt ineinandergreifen. Das Publikum ist gebannt und außer ein paar Thekengeräuschen im Hintergrund ist es mucksmäuschenstill.
Aber auch die neuen Songs von „A Blemish In The Great Light“ entfalten live deutlich mehr Sogkraft als auf Platte. Besonders „Razorblade“ lässt die Stimmung mit seinem düsteren Part und den passenden Lichteffekten hochkochen.
Aber natürlich sind die alten Klassiker die, die das Publikum der Live Music Hall in einen überdimensionierten Chor verwandeln. Zu „Call Me In The Afternoon“ läuft nicht nur Portielje in freudiger Erwartung auf der Bühne hin und her.
Zu „She Wants To Know“, dem letzten Song des reuglären Sets, stellt Portielje sich an den Bühnenrand und fordert die Publikumschöre regelrecht ein, bevor er seine letzten Gitarrentöne mit den Zähnen spielt.
Und als hätte er heute Abend nicht schon genug Instrumente in der Hand gehabt, packt Molander für die Zugabe „Fire Escape“ noch die Mundharmonika aus und lässt damit eine Gänsehautschauer niederregnen.
Nach dieser Besinnlichkeit beenden Half Moon Run den Abend in der Kölner Live Music Hall mit einem Knall, denn mit „Full Circle“ haben sie sich für den Schluss einen Publikumsliebling aufgespart, für den sich das Publikum textsicher bedankt.
Nach diesem Abend ist man mehr als gewillt, „A Blemish In The Great Light“ doch nochmal eine Chance zu geben.