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Mick Harvey – Waves Of ANZAC / The Journey

Ob als langjähriger Sound-Architekt der Bad Seeds, exzellenter Verwerter des musikalischen Nachlasses von Serge Gainsbourg, am Schlagzeug der Schauermärchen-Combo The Ministry Of Wolves, an der Seite von PJ Harvey für „The Hope Six Demolition Projekt“ im Einsatz oder bei vielen anderen Projekten aktiv – künstlerische Rezession ist nicht die Sache des Mick Harvey.

Seine Umtriebigkeit führte ihn zuletzt auf sensibles Terrain, vertonte er doch mit Christopher Richard Barker auf „The Fall And Rise Of Edgar Bourchier And The Horrors Of War“ Gedichte eines fiktive Poeten aus den Schützengräben des ersten Weltkrieges.

Der Weltbrand ist auch Fundament für „Waves Of Anzac“, dem Soundtrack für eine ABC-Dokumentation, die Lebenslinien und Traumata von direkt oder indirekt in Kampfhandlungen Involvierter anhand der militärhistorischen Familiengeschichte von Schauspieler Sam Neill (u.a. Jurassic Park) dokumentiert und nach dem australisch/neuseeländischen Armeekorps betitelt ist, dessen verlustreicher Einsatz bis heute mit dem AZNAC-Day geehrt wird.

Dem Anlass entsprechend komponierte, arrangierte und produzierte Mick Harvey unprätentiöse, überwiegend kurze Klang-Episoden, die kammer-orchestral Trauer und Verzweiflung, aber auch Mut und Entschlossenheit zwischen den Noten verorten.

Von Streichern und Piano getrieben, wehen die Stücke über Schlachtfelder, wird „Turkish Theme“ zum umfassenden Lamento, schäumt die Gischt der Wellen des Titelstücks voller Tapferkeit und Zuversicht mit der Wucht Smetanas entfesselter Moldau.

Mit „The Lovells“ erlebt die Komposition ihren flächigsten Moment, trifft das Glockenspiel auf einen sakralen Unterbau, braust „In The Archives“  dramatisch auf, berührt die Fragilität von „The Cemetery“, deutet „Vietnam“ mit beunruhigenden Effekten und verfremdete Gitarren von späteren Gräuel.

„The Journey“, der zweite Teil des Albums, verbindet Geschichte mit aktuellen Tragödien, mit dem Leiden in die Flucht Getriebener, ist der mit The Letter String Quartett aufgenommene Vierteiler Support für #KidsOffNauru, einer Initiative für Flüchtlingskinder und Asylsuchende.

„Conflict“, „All At The Sea“, „Capture (Not Real Refugees)“ und „Hope“, dem einzigen Stück der Platte mit Stimmen, beschreiben in enger musikalischer Nähe zu „Waves Of Anzac“ mit so eindringlichem wie ruhigem Melodielauf die Lage derer, die in den Offshore-Lagern vor der Küste Harveys australischer Heimat einer menschlichen Perspektive harren.

Mick Harvey bleibt ein sensibler Seismograf, der für Erschütterungen aus Vergangenheit und Gegenwart die richtigen Töne trifft.

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