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Wir drei gehören eigentlich nicht zusammen – Acht Eimer Hühnerherzen im Interview

Acht Eimer Hühnerherzen sind gerade mal doppelt so alt wie die Pandemie. Wie geht man da mit seinem Aggressionsabbau um, wenn man zeitweise auf Streaming- und Sitzkonzerte beschränkt ist? Genau, man nimmt kurzerhand ein neues Album auf. „musik“ ist das dritte Studiowerk von Apocalypse Vega, Bene Diktator und dem noch-und-bald-ehemaligen Terrorgruppe-Gitarristen Johnny Bottrop. Was dieses mit Dissonanzen, Dilettantismus und dem philosophischen Wortneuschöpfer Stanisław Lem zu tun hat, hat uns das Kreuzberger Deutschpunk-Trio im MusikBlog-Interview verraten.

MusikBlog: Hey. Ich find nunmehr ja die Kontinuität erstaunlich, mit der ihr eure banalen Albumnamen fortsetzt. Erst das selbstbetitelte „Acht Eimer Hühnerherzen“, was noch nachvollziehbar klingt. Dann schlicht „album“ und jetzt eben „musik“. Das klingt so universal und nichtssagend zugleich, als dass man dahinter doch ein besonderes Statement vermuten müsste, oder?

Apocalypse Vega: Das ist eben die Konsequenz. Die nächste Platte heißt dann einfach „hits“.

Johnny Bottrop: Vielleicht auch „platte“ oder „lieder“? Oder noch präziser: „neue lieder“?

MusikBlog: Eure Musik lebt ja schon von einer gewissen Unbemühtheit und Banalität, zum Teil souveräner Selbsterniedrigung, immer jedoch von charmanten Wendungen und sehr alltäglichen Beobachtungen. Wie muss man sich den Entwicklungsprozess eines Acht Eimer Hühnerherzen-Liedes vorstellen?

Vega: Wir haben da so eine Maschine…

Bottrop: …die hat Stanisław Lem mal produziert. Wir geben da oben bloß Wörter rein und unten kommen dann kleine Handlungsstränge wieder raus. Ein ziemlich altes Computersystem.

MusikBlog: Ich vermute, es läuft ein bisschen anders.

Bottrop: Sollen wir die Wahrheit sagen? Okay, eigentlich ist es schon immer so, dass Apocalypse Vega in 4/5 der Fälle mit einem Thema ankommt. Dann kommt sie aber nicht nur mit dem Thema, sondern oft auch direkt mit einem halb fertigen Text, zumindest mit der ersten Strophe. Danach arbeiten wir dann erstmal an der Musik und schrauben im Proberaum alles zusammen, bevor wir die Texte vervollständigen. Das geht manchmal in vier, fünf Stunden, manchmal dauert das aber auch zwei Jahre – so wie bei dem Song „Zahlen“ vom letzten Album.

MusikBlog: Euren zweiten Gig als Band habt ihr damals auf einer Beerdigung gespielt?

Bene Diktator: Also es stimmt, falls du darauf anspielst. Hin und wieder wird das ja mal bezweifelt.

MusikBlog: Eure Musik hat seit Anbeginn ein sehr akustisches Paradigma. Dafür hört sich „musik“ nun weitaus elektrischer an.

Vega: Wir haben auch schon auf dem ersten Album Verzerrer benutzt. Mittlerweile ist es ein bisschen mehr geworden, das stimmt, aber wir haben nie ganz darauf verzichtet.

Bottrop: Jetzt ist es ein bisschen mehr Wall of Sound. Wir haben mit mehr Spuren aufgenommen, mal ganz dezent noch einen Fuzz irgendwo drunter gelegt, den man zwar kaum hört, der dem Ganzen dann aber doch noch mal eine andere Farbe gibt. Wir sind jetzt einfach – wie heißt das Wort? – elaborierter!

MusikBlog: Stichwort: Elaborierter. Man gewinnt ja schon den Eindruck, dass eure Musik einen ziemlich unprätentiösen Anspruch hat. Aber gerade Lieder wie „Genug“ oder „Sartre“ enthalten ja doch auch sozialkritische Statements. Da ist dann die Rede davon, dass man Sartre gelesen oder Aerobic ausprobiert, das aber alles nicht glücklich gemacht habe. Was macht euch denn glücklich?

Vega: Ganz klar Musik! Das größte Glück der letzten Jahre ist für mich die Musik.

Bottrop: Ich will jetzt nicht sagen, das wäre das allergrößte Glück auf der Erde, aber wenn wir drei im Proberaum oder auf Tour sind, dann sind wir eben eine richtige Band – und damit sind wir natürlich total glücklich. Unser Publikum übrigens auch. Da kommen Street-Punks, Skins, Alternative-Grunge-Rocker*innen und Leute mit mehreren Uniabschlüssen zusammen, die sich das reinziehen. Total gemischt, aber alle voll gut miteinander.

MusikBlog: Jetzt, wo du das Publikum“erwähnst: Ich wollte mir eigentlich sparen, eine Frage mit Bezug zur Pandemie zu stellen, aber wie war das für euch, dass ihr bei Live-Auftritten in den letzten zwei Jahren so krass limitiert wurdet?

Vega: Phasenweise ging’s uns schon sehr schlecht. Ein Konzert ist ja allein schon für den Aggressionsabbau sehr wichtig. Wenn das dann wegfällt und man nicht mehr so recht hin weiß, wohin mit dem…

Bottrop: …geballten Aggress?

Vega: Ja, genau. Dann haben wir tatsächlich auch mal ein Streaming-Konzert probiert. Das war aber gar nichts für uns. So, und dann war halt klar: Machen wir eben eine Platte.

Diktator: Das hat die Zeit erträglicher gemacht!

Vega: Also wir durften ja durchaus einige Festivals spielen, so ist es ja nicht. Gerade freue ich mich einfach nur tierisch auf April. (Im April beginnt die Tour von Acht Eimer Hühnerherzen, Anm. d. Red.)

MusikBlog: Was nervt eigentlich mehr? Dass ihr euch noch immer wegen eures „prunkvollen Namens“ erklären müsst oder dass ihr auf den Status einer Fun-Punk-Band reduziert werdet?

Bottrop: Mich nervt tatsächlich nur das Wort Fun-Punk , so wie Die Suurbiers oder Deutsche Trinkerjugend – und wenn man das auf uns bezieht. Aber wir haben Fun! Punk ist Fun. „Funtime“ sang ja auch schon Iggy Pop.

MusikBlog: Und wie viel “Fun” hat es gemacht, dass ihr, Bene und Johnny, jetzt auch mal mehr singen durftet?

Diktator: Also ich singe ja schon immer die Backing Vocals. Aber klar, du spielst wahrscheinlich auf „Jetzt auch in Berlin“ an. Da wollte ich einfach mal mit einer Art Spoken-Word-Stück experimentieren. Nicht unter der Prämisse, dass wir Typen in der Band da jetzt auch mal mit quatschen dürfen, aber ich wollte schon immer mal einen sehr repetitiven Song machen. Ich find’s geil!

Bottrop: Ich habe ja in „Jetzt auch in Berlin“ überhaupt das erste Mal eine Stimme entwickelt, die auch wirklich halbwegs nach Gesang klingt.

Vega: Puh ja, das stimmt… Also finde ich gut!

Bottrop: Ich kann ja sonst auch echt nur Shouts oder ziemlich simple Figuren in Refrains mitsingen.

Vega: Ich fasse das jetzt mal so behutsam ein, wie ich’s mir immer vornehme: Jacho (Johnny Bottrop, Anm. d. Red.) ist wirklich der beste Bassist, den ich kenne. Er spielt den Bass, wie man eigentlich eine E-Gitarre spielen würde. Aber wenn er sich voll darauf fokussiert, kann er sich manchmal nicht ganz so gut auf Gesang konzentrieren, auf die Töne und vor allem das Treffen der Töne! Das ist manchmal auch schwierig, weil ich dann meinen Ton verliere. Er ist sehr laut! Ich hoffe, ich habe dich jetzt nicht zu sehr gedisst?

Bottrop: Neeeeeiiiiiin! Wobei, ich bin schon etwas traurig.

Vega: Och, nein. Nein! Ich finde es nur schon wichtig, dass man Töne trifft, wenn ansonsten andere rausfallen. Ich bin aber natürlich auch total für Dissonanzen. Und wie! Es muss nicht perfekt sein. Perfekt können wir auch gar nicht sein.

Diktator: Letztendlich singt Vega – und das ist auch gut so.

MusikBlog: Aber gibt das Schräge nicht auch euren Dilettantismus wieder? Dilettantismus kommt mir bei euch schon wie ein sehr sinnstiftendes Element vor.

Vega: Wir sind Dilettanten.

Diktator: Wir sind schon Dilettanten.

Bottrop: Wir drei gehören eigentlich nicht zusammen in eine Band. Das ist vielleicht ein bisschen das Ungewollte, das Ungeplante, das Dilettantische.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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