Altern Bands in elektronischen Gefilden besser als in den Gitarre-Genres? Hat das etwas mit der artifiziellen Distanz zur menschlichen Vergänglichkeit zu tun? Fragen, die beim Hören des nun mehr achten Studioalbums von Hot Chip durch die grauen Zellen schwirren. Als sich das Londoner Kollektiv im Jahr 2000 zusammentat, war die Popkultur eine völlig andere als die heutige. Und doch – “Freakout/Release” passt zum Zeitgeist.

Vermutlich hängt das auch wiederum mit dem Mixtape-Modus zu tun, der aus der elektronischen Welt Schritt für Schritt den gesamten Musikkonsum verändert hat. Im Zeitalter der Playlistisierung ist der fragmentarische Ansatz hinter Alben jedenfalls vor allem ökonomisch sinnvoll.

Beim Hören von “Freakout/Release” darf man deswegen ruhig den Shuffle-Modus anwerfen. Die kunterbunte Sound-Welt fasziniert in jeder Konstellation.

Da hätten wir zum Beispiel den größten Retro-Moment der Platte im Titeltrack, der mit dem Cocktail aus hingebungsvoller Menschen- und Kraftwerk-Roboterstimme die Basis für ein 90er Revival legt. Aber auch für erfrischenden Disco-meets-Indie-Pop-Sound ist Platz (“Down”) oder für ein wenig Opulenz mit erhabenen Chören (“The Evil That Men Do” featuring Cadence Weapon).

Abgesehen vom intimen, sanft-flackernden “Not Alone” in der Album-Mitte will das britische Quintett 2022 vor allem eins: Tanzen. Und diese Einladung zum Eskapismus können wir gerade wohl alle gebrauchen.

Mal dreht sich die Discokugel zu einem LCD-Soundsystem-Tee mit Daft-Punk-Bubbles (“Miss The Bliss”), bei “Broken” spendieren Hot Chip hingegen eine kleine Tame-Impala-Verbeugung und “Time” ist mit seinen imposanten Synthesizern für die Festivalbühnen gemacht.

Nur eine Sache kann man Hot Chip für dieses Album vorwerfen: Dass sie ihren Feature-Song mit Lou Hayter wirklich “Hard To Be Funky” nennen mussten, nur um dann im maximal lässigen Gestus über die schönsten Funk-Bässe des Jahres zu tänzeln, ist schon fast etwas frech.

Als Gesamtpaket ist “Freakout/Release” jedenfalls wirksamer gegen das Altern als die Gesamtheit der Hyaluron-Cremes der Welt. Tanzen ist die beste Medizin – und Hot Chip deswegen auch 2022 noch verdammt unterhaltsam.

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