Konzeptalben haben bei mir immer diesen Progressive-Rock-Touch. So akustisch gewandet, wie es beim selbstbetitelten Album von Complete Mountain Almanac der Fall ist, hatte ich es nicht erwartet. Jeder Titel trägt einen Monatsnamen, das allumfassende Thema ist die Natur und Ihr Wandel.

Auch das Leben an sich hat seinen Einfluss gefunden in der Entstehung der lyrischen Texte. Diese stammen von Jessica Dessner, welche ihre Brustkrebserkrankung so auch textlich verarbeiten konnte. Ihr zur Seite steht Frontfrau Rebekka Karijord, eine norwegische Komponistin.

Als Musiknerds habt ihr aber sicher schon beim Namen Dessner aufgehorcht. Die beiden Dessner-Zwillinge Aaron und Bryce, die jüngeren Brüder von Jessica und besser bekannt als Mitglieder von The National, waren maßgeblich an der Instrumentierung beteiligt.

Die 12 Titel sind in sich ruhend ausgewogen, gleiten gemächlich wie auch bestimmt durch die betitelten Monate. Allgegenwärtig die helle, fast schon elfenhafte Stimmlage. Diese ist beim Opener “January” gewöhnungsbedürftig, schmiegt sich mit zunehmender Länge aber an die Titel.

Dafür blüht sie bei “February” im nervösen Streicherreigen auf, zersetzt den Titel in seiner textlichen Vergänglichkeit und ergründet erste Untiefen des Seelenheils in “March”. Leise schreitend tastet sich der Titel an den Hörer heran, was das orchestrale “April” wiederum gar nicht im Sinn hat. Spielerisch schnarrende Gitarrensaiten und pluckernde Elektronik wogen sich Frühjahrswirrwarr an die klangvolle Stimme.

Leider verlieren sich die beiden Künstlerinnen in der Textlastigkeit, was Titeln wie “May” die Kurzweiligkeit nimmt. Dass sich instrumental Neues dazu gesellt, hilft da wenig, die Titel werden zäher als sie sein müssten.

Die Sommermonate mäandert man in gesättigter Schwermut antriebslos umher. Verliert sich in Beschwörungen ans eigenem Seelenheil und den Frohlockungen des Gesangs, bis der Herbst wieder etwas mehr Klarheit bringt.

“October” nährt sich am Geiste eines Nick Cave und wiegt sich ähnlich eines Mantras ins Gehör. Diesen Charakter behalten die restlichen beiden Titel des Albums bei, wobei besonders “November” mit sommerlich wirkenden Klangfarben Lebensfreude spendet.

“Complete Mountain Almanac” ist über mehrere Jahre hinweg entstanden, gewachsen und sicherlich auch textlich vertieft worden. Jessica Dessner hat bereits 2020 einen Gedichtband unter demselben Titel veröffentlicht. Jetzt liegt die musikalische Version in akustisch anspruchsvoller Instrumentierung vor, stets bemüht die große Bühne für den Gesang zu bereiten.

Dieser erklimmt nicht selten entrückte Höhen, begeistert aber meist mit schwermütiger Erzählstimme. Welchen Zugang man zu den Texten findet, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Die eigene Vergänglichkeit spielt eine wichtige Rolle, ebenso wie der Platz der Menschheit in der uns umgebenden Natur.

Doch ist es wohl der Schaffensprozess des Albums, welcher die Kernaussage ist. Jessica Dessners Krebserkrankung und ihr anstrengender Heilprozess finden sich in den Worten wieder.

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