Ein Ende der Platten, die als Zeitdokument und Katalysator während der Pandemie entstanden sind, ist wohl lange noch nicht absehbar. Auch das neunte Studioalbum „Continue As A Guest“ der Supergroup The New Pornographers ist auf diese Ära der Unsicherheit und Isolation zurückzuführen.

„Als Gast fortfahren“ oder „Neues Konto erstellen“? Die Metapher als Albumtitel spiegelt einerseits die Entfremdung in Zeiten der weitgehend alternativlosen Online-Bestellungen wider:

Das Album, so Bandleader A. C. Newman gegenüber der Musikzeitschrift „New Musical Express“, sei zu einer für ihn fürchterlichen Zeit entstanden, weshalb der Titel „Continue As A Guest“ auch ein Ausweg sei, um bloß ein Gast, aber keinesfalls ein Bestandteil dieser Welt zu sein.

Andererseits betont der Albumtitel auch die Offenheit und Tendenz zum regen Verkehr innerhalb des „pornographischen“ Kollektivs. In all den Jahren ihres Bestehens ist die Band geprägt von einem steten Kommen und Gehen zahlreicher oftmals unabhängig operierender Künstler*innen.

Newman, als nahezu alleiniger Songwriter des Albums, wollte mit „Continue As A Guest“ einen polierten Klang kreieren und die kantigen und reibenden Nuancen der Vorgängeralben „Whiteout Conditions“ (2017) und „In The Morse Code Of Brake Lights“ (2019) um poppigere Schattierungen erweitern.

So klingt der Einstieg ins Album mit „Really Really Light“ angenehm vertraut. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Song teilweise aus der Feder vom ehemaligen Bandmitglied und Destroyer-Frontman Dan Bejar stammt. Der Refrain eines alten Songs, der es 2014 nicht auf „Bill Bruisers“ geschafft hat, wurde hier interpoliert und bildet nun das Zentrum eines gänzlich neuen Titels.

Auch „Angelcover“ bewegt sich im gewohnten Klangmilieu und taumelt zwischen tuckernden Gitarren, einer trägen Keyboardbegleitung und Neko Cases klobigen „Who knows? Who knows?“ im Chorus. Inhaltlich spielt er auf der Metaebene, denn der Track soll in erster Linie schön klingen und dabei den Entstehungsprozess desselben beschreiben.

Neben dem Opener erhielten die kanadischen Indie-Rocker*innen auch auf der Ballade „Firework In The Falling Snow“ Unterstützung. Teile des Textes hat Sadie Dupuis von Speedy Ortiz beigesteuert, ohne die Band dafür jemals getroffen zu haben. Satte Synths und liebliche Melodien schlängeln sich sanftmütig ins Ohr.

Der Titeltrack „Continue As A Guest“ nimmt erst nach anderthalb Minuten Fahrt auf. Nach und nach verdichten sich die Melodien und Rhythmen und erschaffen ein treibendes und hypnotisches Klanggebilde. Ein Song ist dann wirklich gut, wenn der Gesang kurz davor ist, zu stören. Viel lieber möchte man der voluminösen Instrumentierung lauschen.

Denn diese Komposition ist pure, vertonte Kontinuität und trumpft auf mit ein wenig Blues, ein bisschen Country und ganz viel Sax. Gastmusiker Zach Djanikian ist über die gesamte Spielzeit immer wieder mit seinen hervorragend eingängigen Saxofon-Hooks zu hören.

Aufreibender und dynamischer macht „Marie And The Undersea“ auf sich aufmerksam. Ein heimlicher Klangteppich weicht rasch dem ausladenden Schlagzeug und abermals diesem charmanten Holzblasinstrument in der Ferne, das dem Longplayer einen zeitgemäßen Anstrich verleiht.

Der Schlusstrack „Wish Automatic Suite“ lässt sich mit dumpfen Synths und leisem Gesang etwas Zeit, bis es sich vollends entfaltet. In der zweiten Hälfte zeigt es sich mit einem Tempowechsel und einer deutlich melancholischeren Stimmung nochmal von einer ganz anderen Seite und lässt das Album mit der Zeile „Meet me in the mirror maze, tell me when you find the floor“ sanft ausklingen.

Damit mäandern The New Pornographers auf „Continue As A Guest“ nicht bloß auf altbekannten Wegen, sondern wagen sich mutig querfeldein, um sich treu zu bleiben und gleichzeitig wieder neu zu begegnen. So manche große Power-Pop-Hymne aus der Vergangenheit bleibt hier womöglich auf der Strecke, wird aber durch eine gerissene Indie-Rock-Attitüde kompensiert.

Gastbestellung? Nein, diese Band verdient alle Treuepunkte der Welt.

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