Mit der gestrichenen Gitarre, dem Harmonium und dem Hackbrett auf der Suche nach der Essenz der irischen Folklore: Lankum sind wahre Experten, wenn es um die sagenumwobenen Traditionals der Inselrepublik geht. Auf ihrem neuesten Album „False Lankum“ vereinen die Dubliner sattgrüne Geschichte, Mythologie und Magie mit einem folkloristischen Sound, der in den Bereichen Dynamik und Atmosphäre wieder einmal Maßstäbe setzt. Kurz vor der Veröffentlichung des neuen Longplayers trafen wir uns mit Ian Lynch, Daragh Lynch und Cormac MacDiarmada zum Interview und sprachen über neue Blickwinkel, vertraute Szenarien und geduldiges Arbeiten.
MusikBlog: Euer letztes Studioalbum „The Livelong Day“ erschien vor knapp vier Jahren. War allein Covid Schuld daran, dass es mit dem Nachfolger so lange gedauert hat?
Cormac MacDiarmada: Dieser ganze Corona-Stress hat schon viel beeinflusst – auch bei uns. Ich kann mich noch gut an die Zeit nach der Veröffentlichung des letzten Albums erinnern. Wir hatten damals viel vor. Vieles war schon geplant. Aber keine vier Monate später gab es den ersten Lockdown. Irgendwann kam dann der zweite Lockdown. Das war dann die Zeit, in der uns klar wurde, dass wir wohl etwas länger festsitzen. Während dieser Phase reifte dann die Idee für ein neues Album.
MusikBlog: Schenkt man dem Pressetext zum neuen Album Glauben, gab es wohl einen ganz speziellen Moment über den Dächern von Dublin, der zu einem musikalischen Umdenken geführt haben soll. Was machte diesen Augenblick so besonders?
Daragh Lynch: Wir haben damals an den neuen Songs gefeilt und hatten dafür zwei Studios gebucht. Eins davon liegt in Killiney, hoch über den Dächern von Dublin. Dort standen wir manchmal auch auf dem Studiodach und blickten hinunter auf die Küste und die vielen Lichter von Dublin. Das war schon sehr inspirierend.
Ian Lynch: Das ist wirklich ein ganz besonderer Ort. Man hat dieses unglaubliche 360-Grad-Panorama vor Augen. Man sieht wirklich alles: Dublin, Die Berge, den Ozean, bei gutem Wetter kann man sogar fast bis nach England schauen. (lacht)
MusikBlog: Ihr präsentiert euch auf dem neuen Album musikalisch offener denn je, ohne dabei aber eure Trademarks aus den Augen zu verlieren. Mit welchem Plan seid ihr ins Studio gegangen?
Ian Lynch: Um ehrlich zu sein: Wir hatten gar keinen Plan. Eigentlich hatten wir noch nie einen Plan. Wenn wir uns zusammensetzen, dann entstehen die Dinge einfach aus dem Bauch und aus dem Gefühl heraus. Meist ist es auch so, dass uns die Musik leitet – und nicht umgekehrt. Wir lassen uns dann einfach darauf ein, nehmen die Geschichte und die Botschaft des Songs mit und lassen die Dinge einfach ihren Lauf nehmen.
Cormac MacDiarmada: Das Einzige, das uns diesmal wichtig war: Wir wollten im Vergleich zur letzten Platte noch etwas intensiver zu Werke gehen. Wir wollten, dass die tiefen Sequenzen noch tiefer und die hohen Parts noch höher klingen. Es sollte von allem etwas mehr werden.
MusikBlog: Wie kann man sich euren Songwritingprozess vorstellen? Ist jeder involviert?
Ian Lynch: Ja, eigentlich schon. Ich finde es immer schön, wenn sich ein Song langsam aufbaut, jeder seinen Teil dazu beiträgt, es irgendwie aber noch dauert, bis die Erkenntnis reift, dass da gerade etwas richtig Gutes und Schönes entsteht. Und dann gibt es plötzlich diesen einen Moment, in dem sich der Song in seiner ganzen Pracht präsentiert und auf einmal sind alle in der Band gleichermaßen begeistert. Das ist immer wieder aufs Neue aufregend und schön.
MusikBlog: Eure Songs sind ja oft sehr lang. Braucht ihr viel Zeit, bis alle bezüglich der Soundausrichtung in einem Boot sitzen?
Cormac MacDiarmada: Wir diskutieren gerne und manchmal bestimmt auch viel. Aber es artet eigentlich nie wirklich aus. Das Schöne ist, dass wir uns alle schon lange kennen und jeder die nötige Geduld mitbringt, wenn wir uns zum Arbeiten treffen. Wenn einer eine Idee mit an den Tisch bringt, dann schauen wir, was sich daraus machen lässt. Niemand gibt das Tempo vor. Wir bewegen uns alle im selben Flow.
MusikBlog: Allein der Song „Turn“ geht 12 Minuten lang.
Ian Lynch: (lacht) Ja, aber du musst wissen, dass er in seiner Rohfassung eigentlich fast 18 Minuten lang war. Er wurde also noch wesentlich gekürzt. Es gab diesmal in der Tat ein paar Songs, die wir nachträglich noch kürzen mussten. Aber grundsätzlich finden wir es sehr gut, wenn die Entstehung eines Songs nicht zu sehr von Kompromissen begleitet wird. So entsteht ein ganz natürlicher und fließender Prozess. Manchmal braucht ein Song einfach 12 Minuten, um all das zu transportieren, was wichtig ist.
MusikBlog: All diese vielschichtigen Songs werden irgendwann für ihre Zeit auf der Bühne „präpariert“. Ist das für euch die größte Herausforderung?
Ian Lynch: Es ist ein sehr intensiver und komplexer Prozess. Viele unserer Songs kam man nicht einfach so in der Albumversion auf die Bühne bringen. Manchmal verwenden wir im Studio Instrumente oder Soundhilfen, die wir nicht mit auf Tour nehmen können. Dann müssen wir uns überlegen, ob wir andere Möglichkeiten haben, oder ob ein Song am Ende vielleicht nur auf einer Ebene Sinn macht. Das ist wirklich sehr herausfordernd. Aber es ist auch ein sehr spannender Prozess, denn so ergeben sich auch nochmal ganz neue Einblicke.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.