Wer Fan von Beverly Glenn-Copeland ist, wurde immer mit Musik belohnt, die schwer zu fassen und ihrer Zeit voraus ist – allerdings nicht gerade mit einer hohen Veröffentlichungsfrequenz.

Zugegebenermaßen ist der Komponist trotz seiner vorausschauenden und innovativen Art, Songs und Klangwelten zwischen Jazz, Pop, Elektronik und Weltmusik zu konstruieren, eher immer der Lieblingskünstler der eigenen Lieblingskünstler geblieben. Dadurch war der Druck zu liefern nie wirklich hoch für Glenn-Copeland.

1986 erschien der Meilenstein „Keyboard Fantasies“, 18 Jahre später legte der Musiker 2004 mit „Primal Prayer“ ohne viel Aufmerksamkeit nach. Erst 2015 rückte Glenn-Copeland, der 1961 einer der ersten schwarzen Studenten an der McGill University in Montreal war und sich seit 2002 öffentlich als Trans-Mann identifiziert, wieder mehr ins Rampenlicht.

Verantwortlich dafür ist ein japanischer Plattensammler, der „Keyboard Fantasies“ für sich entdeckte und seinen Fund mit der Welt teilte, was eine Renaissance von Glenn-Copelands musikalischer Karriere inklusive einer viel beachteten Reissue des Albums 2017 anstieß.

Der Hype ging sogar so weit, dass 2019 eine Dokumentation zum Album und 2021 mit „Keyboard Fantasies Reimagined“ ein Tributalbum erschien, auf dem unter anderem Bon Iver und Blood Orange die 35 Jahre alten Songs neu interpretieren.

Ob es nun an der neu gefundenen Aufmerksamkeit für seine Werke liegt oder ob er einfach wieder Lust auf frisches Material hatte: Glenn-Copeland legt nun mit „The Ones Ahead“ ein neues Album vor und beendet die 19-jährige Wartezeit.

Keyboards und Synthesizer spielen hier keine große Rolle mehr wie noch 1986, allerdings findet Glenn-Copeland in den Songs neue und geerdete Methoden für dicht gewebte Klangwelten. Dafür steht gleich zu Beginn der Opener „Africa Calling“.

Der Track ist eine Art „Was bisher geschah“ zum Vorgänger „Primal Prayer“, auf dem bereits afrikanische Rhythmen und vielschichtige Percussion-Einsätze zu hören waren. „Africa Calling“ ist inspiriert von westafrikanischen Musikern, mit denen Glenn-Copeland in den 1980ern zusammen arbeitete.

Der Song ist intensiv, jedoch trotzdem sanft und ausgewogen in seiner Stimmung. Der Sänger hat eine deutlich tiefere Klangfarbe als noch auf vergangenen Alben und nutzt seine Stimme wie eine warme und weiche Decke, die sich auf die Instrumentals legt.

Besonders wirkungsvoll ist dies in den reduzierten Balladen, die das restliche Album dominieren. „Harbour (Song For Elizabeth)“ etwa ist ein ergreifender Song, der vornehmlich vom sanften Klavierspiel und Glenn-Copelands Gesang lebt, hin und wieder unterstützt von einem gezupften Kontrabass.

Der Komponist weiß um die Macht der Dynamik in seiner Musik und setzt sie pointiert ein. Die besonders sanften Momente packen dadurch genauso wie die lauteren und dramatischen Stellen, wenn auch in einer anderen Qualität.

„Stand Anthem“ formt sich durch das anschwellende Arrangement mit Percussions, einem hämmernden Klavier und großen Chören zu einer epischen, treffend benannten Hymne. „People Of The Loon“ ist weniger hoffnungsvoll, dafür drängender und düsterer mit stampfenden Trommeln und beißenden Bläsern.

Dennoch ist die Hierarchie auf „The Ones Ahead“ jederzeit transparent: Erst kommt der Gesang, dann das Klavier – alles andere fügt sich schon darunter. Das freie Konzept funktioniert und sorgt in den kunstvollen, poppigen, manchmal angejazzten Songs für Klarheit ohne Verklausulierung.

„The Ones Ahead“ ist, wie alle anderen Alben von Glenn-Copeland, ein Album, für das man sich Zeit und eine gute Portion Aufmerksamkeit nehmen muss – so wie es der Sänger selbst auch mit seinen Werken tut. Die Belohnung ist dafür aber umso reicher, denn die Kompositionen sind ergreifend und durchdringend. Bleibt nur zu hoffen, dass das nächste Album keine knappen 20 Jahre auf sich warten lässt.

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