Als Slowdive sich 2016 wiedervereinigten und anfingen, nach über 20 Jahren wieder Konzerte und Festivals zu spielen, war die Unsicherheit innerhalb der Band sicherlich groß: Wie würde man auf sie reagieren? Weiß man noch, wer sie sind?
Im Nachhinein betrachtet, war die Sorge völlig grundlos, denn die Shoegaze-Legenden wurden begeistert zurück in die Musiklandschaft begrüßt. Betrachtet man allerdings das Ende der Band 1995 in seinem damaligen Kontext, ist die Angst nachvollziehbar.
Denn damals gingen Slowdive mehr oder weniger unter: Nach dem 1995er Album „Pygmalion“, das im Gegensatz zum Klassiker „Souvlaki“ zwei Jahre zuvor nicht mehr so nahbar, dafür aber sperrig und experimentell erschien, wollte niemand mehr etwas von der Band wissen.
Ihr damaliges Label Creation ließ die Briten fallen, die Aufmerksamkeit rückte von atmosphärischem Dream-Pop weg zu krachigem Brit-Pop, der Zeitgeist schien nichts mehr mit Shoegaze außerhalb von My Bloody Valentine anfangen zu können. Die Band, so jung ihre Akteure damals auch noch waren, löste sich auf.
Verständlich, dass das Quintett es mit der Reunion langsam angehen ließ. 2017 wagten Slowdive einen vorsichtigen Schritt nach vorne: Das Comeback-Album „Slowdive“ besann sich auf die Stärken, die „Souvlaki“ zu einem legendären Album des Genres machte.
Zarte Soundkulissen, herzzerreißende Melancholie und fantastisch eingängiges Songwriting wirkten 1993 schon, 2017 war es nicht anders und „Slowdive“ schlug unverhofft ein. Der Erfolg ließ die Band wieder wilder träumen.
So entsteht das Gefühl, dass „Everything Is Alive“ wieder auf abenteuerlicheren Pfaden wandert und sich soundtechnisch doch wieder an „Pygmalion“ annähert. Diesmal, so geben Slowdive zu verstehen, ist man klüger und es wird funktionieren.
Und das tut es: Die Band konzentriert sich voll und ganz auf subtile Klangkonstruktionen, die nicht direkt ins Gesicht fliegen wie Insekten bei einer Spritztour mit dem Cabrio, sondern sich zart anschmiegen – sei es mit verwaschenen Gitarren oder wabernden Synthesizern.
Ein gewisses Maß an elektronischer Finesse steckte schon immer in der Kunst von Slowdive, auf „Everything Is Alive“ wird der Synthesizer allerdings zu einem prominenteren Akteur im Albumgefüge.
Der erste Beweis breitet sich gleich in den ersten Sekunden des Openers „Shanty“ aus, der schwere, düstere Synth-Arpeggios loslässt, bevor sich die Gitarrenteppiche darauf ausbreiten und das Steuer übernehmen.
Darauf folgen mal ganz langsame Songs, die wie ein Hauch in der lauen Sommerluft wirken, mal post-punkige, theatralische und leicht traurige Tracks wie „Kisses“, dann wieder drängende Shoegaze-Momente wie in „The Slab“ – allesamt stechen sie jedoch direkt ins Herz.
Zu weit lehnen sich Slowdive allerdings ebenfalls nicht aus dem Fenster – man möge meinen, die Band habe aus ihrer Trennung gelernt, dass nicht jede Idee, die man umsetzen kann, auch umsetzenswert ist.
So bleibt das Songwriting auf „Everything Is Alive“ stets ausgewogen: Probiert sich das Quintett mal allzu sehr aus, fängt es sich schnell wieder und erinnert sich daran, dass es auch Songs schreiben möchte – nicht nur komplexe Soundstudien.
Slowdive zeigen Langlebigkeit in dem, was sie tun. Sie wagen immer ein kleines bisschen mehr, wollen die Aufmerksamkeit der Hörerschaft aber nicht mehr erzwingen, sondern sich diese verdienen.
Genau das erreichen die acht intensiven Songs mit Leichtigkeit und umhüllen, halten warm und wiegen die Hörer sogar sachte. Diese Wärme signalisiert mit einem guten Gefühl im Bauch: Alles ist lebendig.