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PJ Harvey – Live im Admiralspalast, Berlin

Der ausverkaufte Berliner Admiralspalast war am gestrigen Samstag der würdige Rahmen für ein außergewöhnliches Konzert. Sieben Jahre nach ihrem „The Hope Six Demolition Project“- Gastspiel in der Hauptstadt, trat dort mit PJ Harvey eine der wohl prägendsten Alternative-Künstlerinnen der vergangene Jahrzehnte auf.

Marschierten mit ihr zuletzt in der Zitadelle ein Allstar-Ensemble um Mick Harvey ein, betrat diesmal viel weniger Personal die Szenerie, allen voran ihr Mentor John Parish, dazu der Schlagzeuger Jean-Marc Butty, die Gallon-Drunk-Ikone James Johnston sowie Giovanni Ferrario, die – inklusive aller eingespielten Kinder- und Tierstimmen, Vogelgezwitscher und Glockengeläut – an wechselnden Instrumenten das Soundgerüst der aktuellen Platte exakt wiedergegeben haben.

Ausnahmslos aus dieser bestand der erste Teil des Auftritts. Im weißen Kleid stand Polly Jean Harvey zum Auftakt in einem Lichtkranz, interpretierte „Prayers At The Gate“, wie folgend die weiteren 11 Stücke von „I Inside The Old Year Dying“, ohne aufgesetzte Theatralik, obwohl deren Inhalt zwischen Werden und Vergehen ausreichend Nährboden dafür bieten würde.

„Autumn Term“ wurde zur getanzten Begrüßungsrunde, zu der sich PJ feenhaft inmitten der auf der Bühne drapierten Antiquitäten aus Schreibtisch, Stühlen und Kirchenbank bewegte; führte singend und lamentierend in die mystische Thematik aus biblischer Prophezeiung, Naturgewalten und heidnischen Ritualen ihrer südenglischen Heimat ein, in der sie mittlerweile wieder ansässig ist, und auf denen ihr Langgedicht „Orlam“, Grundlage des Albums, fußt.

Mit dem Titeltrack griff PJ Harvey erstmals selbst zum Instrument, fügte sich ins Spiel ihrer kongenialen Mitstreiter ein: „All Souls“ ließ es im Saal lauter werden, was das ohnehin angetane Publikum noch tiefer in den Bann zog, erst recht, als die melodielastigen Nummern der Platte Fahrt aufnahmen.

So hätte es ihr vermutlich, trotz der Ticketpreise ab 90 EUR aufwärts, niemand übel genommen, wenn sie nach ihrem Abgang mit dem lärmenden „A Noiseless Noise“ nicht wiedergekommen wäre, dies war natürlich unbegründet, denn im zweiten Teil standen Klassiker aus den umfassenden Gesamtwerk der Künstlerin auf dem Programm.

Die Brücke von aktuellen Material zum Bestand schlug die Herrenriege, die „The Colour Of The Earth“ grandios im Stil eines stampfenden Traditional anbot, bevor Stücke von „Let England Shake“ den Auftakt für einem repräsentativen Querschnitt durch den Backkatalog starteten, der wenig Wünsche offen ließ.

Man involvierte sich in die Seele von „Angelene“, erahnte mit „Send His Love To Me“ eine Liebe, die sich wie das jüngste Gericht anhörte, mochte sich blind durch „The Garden” in „The Desparate Kingdom Of Love“ führen lassen und reiste via „Man-Size“ und „Dress“ von „Rid Of Me“ und „Dry“ zum zornigen Karrierebeginn der Harvey. Hits, zu denen es die Menschen im Parkett im Wortsinn aus den Sitzen riss.

Nach „Down By The Water“ begann die Protagonistin dann auch zu sprechen, bekam der Fan mit dem selbstgebastelten Pappschild wunschgemäß die Drumsticks von Jean-Marc Butty überreicht, entfaltete „To Bring You My Love“ nach ihrer umfassenden Danksagung an Band und Auditorium zum Schluss seine unheimliche Sogwirkung.

Noch einmal würden sie wiederkommen, folgten dem Trotzigen von „C’mon Billy“ die Sehnsucht von „White Chalk“, zwei Songs, die mit ihrer divergenten Stimmung das Gegensätzliche repräsentierten, mit dem sich Polly Jean Harvey seit über 30 Jahren in Kopf und Herz spielt. Selbstverständlich auch am 21. Oktober 2023 im Admiralspalast Berlin.

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