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Versacer – nothing was gonna happen if I didn‘t say anything

Irgendwo in Berlin, Hannover und München finden sie zueinander und machen Discoschlager mit deutschen und englischen Texten. Wem sich jetzt bereits die Zehennägel aufrollen und dabei ganz fest an Alexander Marcus oder Roy Bianco und die Abbrunzati Boys denkt, darf sich entspannen.

Versacer machen zwar, laut eigener Auskunft, Discoschlager, aber der hat mit dem blödelnden Dadaismus eines Alexander Marcus gar nix zu tun. Trotzdem folgt in dieser Rezension ein ganzer Haufen Namedropping, denn das musikalische Quartett aus den drei Städten hat auf der Suche nach dem eigenen Sound so manche Querverweise zu anderen Bands hinterlassen.

Um es gleich vorwegzunehmen, ihr Debütalbum “nothing was gonna happen if I didn‘t say anything” ist richtig gut. Warum? Weil die Band eine Brücke zwischen Selig und Bilderbuch baut, dazwischen irgendwo noch eine Ausfahrt zu den grandiosen Fotos baut, während der Fluss darunter zu einem modernen eigenen Ganzen wird.

“Overdriver” lässt uns verhalten poporientiert einsteigen, man gewöhnt sich schnell an Sänger Julians Stimme. Diese packt im Refrain kratzig hell zu, während man die Five-Stars-Attitüde des Internets besingt.

“Deine Schuld” bleibt sphärischen Gitarrenklängen und poppigem Unterbau treu, bevor “Milk And Honey” erste Höhepunktakzente setzt. Textlich tanzt man im Reigen eines Bosse, den Bass fiebrig anschlagend entgleitet man im Chorus zum catchy Pop. Julian “schießt Selfies im Pistolenlauf” und lädt uns zu “heißer Milch mit Honey ein”. Eine Einladung der man folgen sollte.

“nothing was gonna happen if I didn‘t say anything” braucht ein wenig Einlaufzeit. Doch Versacer wissen, Höhepunkte zu sammeln. Da findet sich mit “Insomnie” ein auf Bassfundament gebauter Song, der im Stile der frühen Fotos Sehnsüchte ergründet. Die Hamburger Band hat vor ca. 15 Jahren eines der am meisten unterschätzten deutschen Indie-Rock-Alben aufgenommen. Es scheint, dass etwas von diesem Esprit auf Versacer übergegangen ist.

“Liebe So Schwer” lässt den Chorus tanzen, blickt dabei rechts und links auf Bilderbuch und Selig. Vereinzelt knarrende Gitarren mit herrlichem Text, irgendwo zwischen NDW und Bilderbuchs deutsch-englischen Kurznachrichten.

Aber bleiben wir doch mal kurz bei den 80ern. Wir ruckeln mal eben an Rio Reisers Grabstein, wenn der “Miracle Man” in schräger Eingängigkeit die Zeitmaschine anwirft und durch Deutschlands Vergangenheit rast. Funky, catchy und hüftwackelnd beschwört der Titel ganz nebenbei tatsächlich die Discogeister.

“Toxic Love” nutzt das Rezeptbuch von Bilderbuch. Der Basslauf massiert, die Akkorde schwingen und der Refrain bietet jede Menge Ohrwurmfutter. Was bei Bilderbuch aufgeht, klappt auch mit Jan Plewkas Schaffen.

Der Titeltrack “nothing was gonna happen if I didn‘t say anything” weckt mit sphärischen Gitarrenwellen, rockigen Akkorden und der instrumentalen Zentriertheit auf den ruhigen Sprechgesang sofort Erinnerungen an selige Zeiten. Sorry, das dünne Wortspiel musste sein.

“Freeze”. Funky Gitarren, mäandernde Synthieflächen und multilingualer Gesang. Ein Refrain, der da landet, wo er gerne länger verweilen darf. Klingt nach Bilderbuch? Ja, klar. Aber das ist Versacer.

Julians atemloser Gesangseinsatz von kratzenden Verstärkern, welche wiederum an Fotos erinnern, gleitet direkt über in “Millennial Lovers”. Der mit denselben Zutaten spielende Track bringt noch etwas Bilderbuchesken Dadaismus vom Album “Schick Schock” mit ins Spiel. Der Basslauf groovt sich ein und schnell wird klar, was Versacer mit “Discoschlager” meinen.

“Don´t Follow” lässt Indie-Pop leben, “Los Santos” bringt verträumten soulig reduzierten Sound mit vertrackten Sehnsuchtslyrics rund um hormonell bedingte Zweisamkeitsträumereien, bevor “Nichts Bleibt Wie Es War” das Album balladesk mäandernd abschließt.

Irgendwo in Berlin, Hannover und München finden sie zueinander und machen Discoschlager. Und das ist verdammt gut so.

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