Wenn Liedtexte auf Fernsehbühnen treffen, lösen sie immer noch oft mehr Resonanz aus als via Streaming-Dienste. So gesehen, dürfte sich für alle Beteiligten vom ZDF bis hin zu den Musiker*innen das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld unter Leitung Albrecht Schraders gelohnt haben. Nach amerikanischem Late Night-Vorbild versorgte Schrader das Jan Böhmermann-Format „Neo Magazin Royale“ mit seinem Ensemble. Es umfasste sogar Personal für Geige, Bratsche und Blechbläser.
Ein Höhepunkt des dortigen Schaffens ergab sich, als der in Köln aktive und in Hamburg geborene Schrader den Satiriker bei sich selbst erkannte, den er auch jetzt wieder auspackt, auf „Albrecht Schrader“.
Von „Marijke Amado“ handelt ein ambivalentes Lied aus dem Advent 2018. Darin singt der Band-Leiter zusammen mit den Düsseldorf Düsterboys in kirchlich-sakralem Ernst einen nicht ernst zu nehmenden Text: Sie zählen Namen von Talkshow-Hosts auf – aktuellen und legendären. Amado, seit den 1990ern ein gefallener Star, hat seit Kurzem wieder eine eigene Sendung, als hätte Schrader 2018 bereits ihr Comeback erahnt.
„Nichtsdestotrotzdem“ (2017), „Diese Einer Stelle“ (2020) und „SOFT“ (2022) heißen seine drei Alben mit Gesang, die letzten beiden erschienen bereits auf seinem eigenen Label Krokant. Albrecht Schrader etablierte sich zwischen dem Elektro-Funk Jan Delays, der humoristischen Loser-Philosophie Rocko Schamonis, dem Wabbel-Sound Jacques Palmingers und dem bittersüßen Chanson-Pop Dagoberts.
Der urbane Blickwinkel PeterLichts und dessen Technik, der sperrigen deutschen Sprache in einfachen Worten ‚Flow‘ zu verleihen, all das mischt sich in die Musik Schraders. Die subtile Ironie Alli Neumanns, der Dadaismus Stephan Remmlers und die poetische Szenarien-Darstellung Sven Regeners liefern weitere Parallelen.
Das Eigenartige an Schrader war bisher schon seine subtile Ironie. Auf der neuen Platte prägt sich Yacht-Rock als Genre noch deutlicher aus, besonders markant in „Ich Lese Was Hinein“. Dieser Stil schleicht sich in alle Tracks hinein.
Mehrere Texte handeln von den Funktionen der Musik, ein cineastischer Aufbau der Stücke macht sich stark bemerkbar, und die Bildsprache kennt manchmal kein Halten.
Dabei erweist sich der 41-jährige Schrader als Meister pointierter Lied-Titel wie nun aktuell „Zwanzig Jahre Nikotin“, „Die Musik Beginnt“, „Die Musik Hört Auf“ oder „Du Teilst Dich Auf“. (Nur beim Benennen des Albums ging ihm die Puste aus, so dass es genauso heißt wie er.)
Den Bezug zur Hansestadt spürt er immer noch. Ein Songtitel verrät es: „Ich Bin Nicht Sicher, Ob Das An Hamburg Liegt“, unkt der Liedermacher. Und drückt sich darin so geschliffen aus, dass man sich unweigerlich in diesen pulsierenden Song hinein ziehen lässt: „Die Wirklichkeit reißt mich zu Boden, und die Träume treten nach. (…) Ich hab die letzten 100 Meter mit so viel Drang wie lang nicht mehr / auf Kastanien eingetreten – sie kullern klackernd vor mir her.“
Die Naivität von Trios Texten aus den 1980ern klingt beispielsweise bei „Zwanzig Jahre Nikotin“ an: „Hast du denn heute schon was vor? Ich würde gern mit dir was trinken gehen / oder lieber in den Park, auf der Wiese Zigaretten drehen.“
Nachdem Albrecht einst Musikwissenschaft studiert hat, liegt es nahe, dass er die Töne selbst beschreibt. So illustriert er in „Die Musik Hört Auf“ detailgetreu: „Die Melodie vom Saxophon hat sich im Schluss-Akkord verloren / da schwillt ein warmer Sinus-Ton aus den Oszillatoren mit Crescendo wieder ab / es dröhnt und rauscht und moduliert, bis das Fell der großen Trommel mit der Musik räsoniert.“
Was Musik leisten kann, diskutiert eine Reihe von Kolleg*innen mit Schrader im Track „Ist Musik Unser Ding?“ Schamoni wirkt mit, Nicola Rost und Saskia Lavaux singen nebst anderen aus verschiedenen Genres auf Deutsch, außerdem Resi Reiner, Dirk von Lotzow und Das Paradies:
„Kann sie uns noch aus der Fassung bringen? (…) Kann sie uns durch schwere Zeiten bringen?“ – Das kann die Musik sicher, wenn sie so beschwingt, vielschichtig, feinfühlig orchestriert, super produziert, witzig und abwechslungsreich wie auf Schraders Album „Albrecht Schrader“ ist.