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Diese Musik löst etwas in mir aus – Drangsal im Interview

Drangsal wäre ein toller Name für eine Metal-Band und als Fan des Genres hätte Max Gruber womöglich auch eine solche Band gründen können. Doch der junge Sänger aus dem südpfälzischen Herxheim verfolgt mit seinem Debütalbum ein ganz anderes Ziel. Statt böse zu klingen oder anzuecken, sucht „Harieschaim“ nach den großen Popmomenten, die jeder sofort versteht und denen man sich nur schwer entziehen kann. Inspirieren ließ er sich dabei von Wave-Bands der 80er, die mit ihren Songs ein ganz ähnliches Ziel verfolgten. Im Interview erzählt uns Max Gruber, wie er vom Weirdo zum überzeugten Biedermann wurde, warum er früher keine langsamen Songs schreiben konnte und wieso ihn altertümliche deutsche Begriffe faszinieren.

MusikBlog: Du hast 2012 zum ersten Mal zwei Demos auf Soundcloud hochgeladen, vier Jahre später erscheint nun dein Debüt. Bist du perfektionistisch veranlagt oder wieso hat sich dieser Prozess so lange hingezogen?

Max Gruber: Wenn es nach mir ging, hätten wir das Album schon 2013 rausgebracht. Mir war damals nicht bewusst, welche Prozesse das alles durchläuft, bis man ein Album kaufen kann. Und mir war außerdem nicht bewusst, wie viel besser die Songs noch klingen könnten. Ich war von den ersten Re-Recordings schon so begeistert, dass ich gar nicht an mir halten konnte und das unbedingt allen zeigen wollte. Aber es ist gut, dass Markus (Ganter, der Produzent – Anm. der Red.) immer wieder gesagt hat: Nein, wir arbeiten da noch mal dran! Er ist Perfektionist und ich bin es durch ihn auch geworden. Zudem hatte Markus ja auch nicht immer Zeit, es kam viel dazwischen.

MusikBlog: Ihr musstet die Arbeit an „Harieschaim“ ja immer wieder unterbrechen, weil Markus Ganter mit Dagobert, Tocotronic, Casper oder Sizarr Alben produzierte. War diese Arbeitsweise möglicherweise ein Vorteil, weil man so zwischendurch immer wieder das bisherige Material reflektieren konnte?

Max Gruber: Am Anfang schon, am Ende hat es aber einfach nur noch genervt, weil man drei Jahre lang an „Allan Allign“ herum gedoktort hat und schließlich überhaupt nicht mehr sagen konnte, ob es nun besser oder schlechter klingt. Man droht auch irgendwann, den Bezug zu und die Euphorie für ein Stück zu verlieren. Aber wenn dann umgekehrt Menschen euphorisch auf das reagieren, was es am Ende geworden ist, ist es umso schöner. Insgesamt war es weder ein Vor- noch ein Nachteil. Ich hab in dieser Zeit viel gelernt – vor allem, mich in Geduld zu üben. Markus ist älter als ich und auch erfahrener und hat deshalb einen besseren Weitblick, wann etwas bereit ist, zu passieren. Als wir angefangen haben, war ich 18, 19 Jahre und euphorisch überdreht, aber er hat immer wieder zur Ruhe ermahnt. Und er hat Recht behalten.

MusikBlog: Du orientierst dich mit deinem Debütalbum an einem bestimmten Sound der 80er. Hat Markus Ganter sofort verstanden, welchen Sound du mit „Harieschaim“ anstrebst?

Max Gruber: Markus versteht so etwas sehr schnell und erkennt außerdem sofort, wenn es Leerstellen in der Musik gibt. Meine ersten Demos klangen noch sehr vage, weil mir die Mittel fehlten oder ich noch nicht so genau wusste, wohin der Song gehen soll. Mittlerweile ist das anders, mittlerweile sind meine eigenen Demos schon recht nah an dem fertigen Song. Bei „Schutter“ war das zum Beispiel so, das war der letzte Song, den wir noch für das Album aufgenommen haben. Markus versteht meine Arbeitsweise und schafft es, sie mit seiner eigenen Arbeitsweise in Einklang zu bringen. Ich habe eine sehr verschrobene Art und Weise, wie ich Demos aufnehme und wie ich in meinem Kopf Songs konzipiere, und ich hatte bei Markus von Anfang an das Gefühl, dass er das versteht. Und er weiß, wie er mit mir umspringen muss, da ich nicht immer der einfachste Kandidat für solche Zusammenarbeiten bin. Ich würde nur ungern mit einem anderen Produzenten zusammenarbeiten.

MusikBlog: Verantwortlich für den Sound auf „Harieschaim“ sind ja unter anderem die Mixtapes, die dein Vater in deiner Kindheit für seine Kneipe aufgenommen hat. Warum zieht es dich zu diesem Sound zurück, obwohl du damals lieber andere Musik gehört hast?

Max Gruber: Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass diese Musik etwas in mir auslöst. Das kann man nicht entscheiden oder auch nur beeinflussen – wie man auch nicht beeinflussen kann, ob man sich gut oder traurig fühlt. Irgendwann als ich mich in diesen New-Wave-80er-Sound reingefuchst habe, als ich XTC, Orange Juice, Prefab Sprout gehört habe, wurde mir klar, dass mich irgendetwas an dem Songwriting, der Instrumentierung, den Arrangements berührt. Ich höre aber nicht The Cure und auch nicht Joy Division, was bei vielen Menschen für Verwunderung sorgt, weil sie die in meinen Songs wiedererkennen. Es geht mir immer um ein Streben nach dem großen Popsong und in dieser Zeit war die Dichte an großen Popsongs einfach sehr hoch. Wenn die Drums klingen, als wären sie in einer riesigen Lagerhalle aufgenommen, Chorus auf der Gitarre liegt und der Gesang gedoppelt wurde, dann passiert etwas mit mir. Zumindest jetzt noch. Ich weiß nicht, wie das in zehn Jahren aussieht.

MusikBlog: Aber du hast damals und heute auch Metal gehört, was man auf dem Album nicht wirklich hört – höchstens bei den kurzen Ausbrüchen in „Der Ingrimm“ und „Schutter“. Könnte dieser Einfluss in Zukunft eine größere Rolle spielen?

Max Gruber: Absolut, es gab auch Demos, die zunächst viel harscher und krasser klangen. Ich bin ein riesiger Black-Metal-Fan, liebe auch Metallica, Megadeth und Pantera. Deshalb hat diese Musik einen großen Stellenwert für mich, ich darf mir aber dennoch nicht vornehmen, wie ich klingen will und welche Stile ich einfließen lasse, weil dann wirkt es gekünstelt. Wenn ich mir vornehmen würde, mehr verzerrte Gitarren und mehr Metal in meine Songs einzubauen, würde es wohl schnell konstruiert klingen. Ich finde außerdem, dass der Break in „Schutter“ ziemlich Metal ist.

MusikBlog: Nicht nur die Mixtapes, auch das Musikfernsehen deiner Kindheit hatte Einfluss auf deine musikalische Sozialisation. Was hat dich daran fasziniert?

Max Gruber: Frontmann-Charaktere. Mich haben kontroverse, provokante Persönlichkeiten fasziniert. Ich fand Marilyn Manson super, später beispielsweise auch GG Allin. Sobald die Musik gegen etwas war, hat sie mir damals gefallen. Später war mir das dann nicht mehr so wichtig, da habe ich größeren Wert auf gutes Songwriting gelegt. Aber ich mag immer noch Musik, die verquer ist. Gleichzeitig möchte ich selbst Musik machen, die jeder verstehen kann, ohne sich wochenlang reinfuchsen zu müssen.

MusikBlog: Du legst großen Wert auf die visuelle Seite deiner Kunst. Hängt das womöglich mit deiner frühen Faszination für Marilyn Manson zusammen, der ein audio-visuelles Gesamtkunstwerk darstellte?

Max Gruber: Auf jeden Fall. Die Musikvideos, die Albumcover und die Auftritte haben deutlich gezeigt, dass es da um mehr als nur Musik ging. Damals waren mir vielleicht sogar diese visuellen Komponenten wichtiger als die Musik. Marilyn ist mir heute allerdings zu offensichtlich, ich mag es lieber, wenn es subtil schräg ist. Außerdem muss das Gesamtpaket stimmen, also der Style auch zur Musik passen. Ich habe Tage und Nächte darüber gegrübelt, wie das Inlay der CD aussehen soll, weil das immer Sachen waren, die mich begeistert haben.

MusikBlog: Und du hast dich dann schon in jungen Jahren in Herxheim optisch an solchen Figuren orientiert?

Max Gruber: Oh ja, hoffentlich tauchen die Bilder aus dieser Zeit nie auf. Ich hatte pinke Fingernägel, halb schwarz, halb blond gefärbte Haare, zu einer Tolle geformt. Jeden Fauxpas und Fehlgriff, den man sich in Sachen Mode leisten kann, habe ich damals gemacht.

MusikBlog: Das dürfte in einem Städtchen wie Herxheim für Aufsehen gesorgt haben.

Max Gruber: In so einer kleinen Gemeinde kennt jeder jeden und es gibt auch nur eine Schule, auf die man gehen kann. Da macht man sich so natürlich schnell bekannt und steckt in so einer Außenseiter-Rolle.

MusikBlog: Und hast du dich später nach deinem Umzug nach Leipzig bzw. Berlin immer noch als Außenseiter gefühlt?

Max Gruber: Die Außenseiter-Rolle, die ich dann eingenommen habe, war im Prinzip das Gegenteil. Denn dort wollen sich alle zeigen, alle wollen auffallen. In den 80ern, 90ern und auch noch frühen 2000ern konnte man sich tätowieren, piercen und die Leute haben sich nach dir umgedreht. Heute wollen alle diesen Schock emulieren, aber es schockt keinen mehr, wenn man ein Mädchen in Bomberjacke und mit abrasierten Haaren sieht. Im Gegenteil, man findet es sogar langweilig. Deswegen wurde ich so ein wenig zum Biedermann, bin viel mehr drin als draußen, fühle mich nicht als Teil einer Szene und habe auch nicht das Bedürfnis, mich ständig mit Leuten zu treffen.

MusikBlog: Ist es dieses Gefühl, das du im Song „Moritzzwinger“ thematisierst? Der dreht sich ja darum, dass du keinen Zugang zu deinen Altersgenossen findest.

Max Gruber: Das stimmt. Andererseits dreht sich der Song um einen fiktiven Charakter, der dann merkt, dass er seine Peergroup nur nicht sieht, weil er blind ist. Ich habe oft das Gefühl, dass ich mich blind stelle. Wenn ich wollte, könnte ich bestimmt rausgehen und Spaß haben. Ich könnte mein Dasein auch so fristen, dass ich jedes Wochenende drei Tage im Berghain durchtanze und ganz viel Koks konsumiere, stattdessen sitze ich zuhause, trinke Tee und mache Musik.

MusikBlog: Dieser Songtitel „Moritzzwinger“, auch dein Künstlername und der Albumtitel zeigen deine Vorliebe für altertümliche und ungewöhnliche deutsche Begriffe. Fasziniert dich der Klang?

Max Gruber: Ich weiß es nicht. Natürlich spielt der Klang eine Rolle, aber irgendwie sind diese Begriffe auch immer zu mir gekommen. Jetzt ist es fast schon so ein Markenzeichen, auf das ich auch ständig angesprochen werde. Mir gefällt die Idee, dass man den Begriff nicht kennt und nachschlagen muss, wenn man sich dafür interessiert. Denn so ist man unvoreingenommener, wenn man den Songtitel liest. Wenn da „Drangsal – Hinterkaifeck“ steht, kann man womöglich mit beiden Begriffen nichts anfangen und ordnet den Song nicht schon vorab in irgendeine Schublade. Ein Songtitel wie „Love Me Or Leave Me Alone“ ruft bestimmte Emotionen hervor, der Song ist dann quasi durch den Titel schon vorbelastet. Das hat man bei „Moritzzwinger“ nicht. Zunächst waren das meistens Arbeitstitel, die ich den Songs gegeben habe, damit ich sie unterscheiden kann. Mit der Zeit sind Song und Titel dann so miteinander verwachsen, dass es sich falsch angefühlt hätte, ihnen einen anderen Namen zu geben.

MusikBlog: Trotz dieser Faszination und obwohl du auch Fan der frühen Neuen Deutschen Welle bist, singst du ja nur einmal auf Deutsch auf „Harieschaim“. Fühlst du dich wohler, wenn du auf Englisch singst?

Max Gruber: Das war tatsächlich mal so, ich wollte auch ursprünglich das ganze Album auf Englisch singen. Dann habe ich „Will Ich Nur Dich“ geschrieben, ursprünglich gar nicht für Drangsal, sondern für ein anderes Projekt, dem Fabian von Sizarr und ich manchmal nachgehen. Irgendwann habe ich Markus dann den Song vorgespielt und er fand ihn super. Das war wichtig, weil ich gerade erst begonnen hatte, auf Deutsch zu schreiben, und mich noch sehr verletzlich und angreifbar damit fühlte. Mittlerweile habe ich schon ganz viele Songs auf Deutsch geschrieben und fühle mich pudelwohl damit. Ich zwinge mich nie dazu, auf Englisch oder Deutsch zu schreiben, sondern warte einfach ab, was kommt. Am Record Store Day gab es ja auch eine Platte von mir mit einem zweiten deutschsprachigen Song. Ich hoffe, dass damit den Leuten klar wird, dass Drangsal eine bilinguale Angelegenheit ist.

MusikBlog: Also könnte es dir auch passieren, dass du die Sprache während des Songs wechselst?

Max Gruber: Das ist mir schon passiert. Ich habe neulich die ganze Nacht bis morgens um 7:30 an einem Stück geschrieben und da singe ich tatsächlich kurz auf Englisch und dann wieder auf Deutsch.

MusikBlog: Insgesamt fällt bei deinem Album auf, dass unter jedem Song ein nervöser Puls oder treibender Rhythmus liegen, die „Harieschaim“ eine beinahe getriebene Atmosphäre verleihen. Würdest du dich selbst als nervös charakterisieren?

Max Gruber: Oh ja, ich konnte früher überhaupt keine langsamen Songs schreiben. „Hinterkaifeck“ war ursprünglich in Doubletime, der hatte 180 bpm. Wir haben dann den Beat nachträglich halb so schnell gemacht, damit das nicht ganz so extrem wirkt. Momentan habe ich eher Lust auf langsamere Songs, aber grundsätzlich bin ich ein sehr nervöser Typ und musste so schnelle Sachen komponieren, weil es mir sonst selbst zu langweilig wurde. Schnell, kurz, knapp und aufs Maul! Sehr zum Leidwesen meines Schlagzeugers Christoph Kuhn. Wenn der die Hi-Hat zu „Der Ingrimm“ für dreieinhalb Minuten spielen muss, stirbt der tausend Tode.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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