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Als hätte Kanye West einen Song von Elton John produziert – Arkells im Interview

Jeder kennt das. Man wacht nach einer durchzechten Nacht auf, kann sich nur noch bruchstückhaft an die Ereignisse des Abends erinnern und schreibt daher erst einmal allen Freunden eine SMS, um herauszufinden, was genau passiert ist: Wer mit wem nach Hause gegangen ist, wer sich blamiert hat und warum Adam schon wieder seine Hose ausgezogen hat. Arkells haben diese Nachrichten „Morning Report“ getauft und sich von diesen Geschichten für ihr viertes Album inspirieren lassen.

Und weil das Quintett viele Entwicklungen im Rock eher gelangweilt beobachtet, dienten der Band aus Hamilton, Ontario HipHop, elektronische Musik und Pop als musikalische Wegweiser. Besonders der Produktion der zwölf Stücke, für die die Band vier verschiedene Produzenten engagierte, hört man diesen Einfluss an. Wir sprachen mit Sänger Max Kerman über falsche Rock-Mythen, Politik als Inspirationsquellle und die lustigste SMS am Morgen danach.

MusikBlog: Für die Arbeit an eurem letzten Album „High Noon“ habt ihr euch eine Fabrikhalle gemietet und dort fünf Tage die Woche an den Songs geschrieben. „Morning Report“ habt ihr dagegen in den Pausen zwischen den Touren geschrieben und aufgenommen. Warum diese neue Herangehensweise?

Max Kerman: Wir versuchen immer, aus unseren bisherigen Erfahrungen als Band zu lernen. Gleichzeitig helfen solche Änderungen dabei, die Arbeit an einem Album möglichst neu und aufregend für uns zu gestalten. Wir hatten eine gute Zeit, als wir „High Noon“ aufgenommen haben, aber rückblickend glaube ich, dass wir die Stücke zu viel geprobt haben und viel zu viele Demos aufgenommen haben.

Wenn man einen Song zu oft probt, gehen gute Ideen irgendwann verloren, weil man sich langweilt und deswegen neue Sachen ausprobiert. Ich habe mir zum Beispiel die Demos zu „Come To Light“ noch einmal angehört. Die meisten unterscheiden sich kaum voneinander, dennoch haben wir viele gute Ideen im Laufe der Zeit verloren, weil wir zu viele dieser Demos aufgenommen haben. Wir wollten uns deshalb dieses Mal stärker auf unseren musikalischen Instinkt verlassen. Wenn ein Song eine gute Hook, bedeutungsvolle Lyrics und eine sinnvolle Struktur hatte, sind wir damit sofort ins Studio und haben ihn aufgenommen.

MusikBlog: Das klingt, als wärt ihr mit dem Ergebnis der Aufnahmen zu „High Noon“ gar nicht mehr so zufrieden.

Max Kerman: Oh nein, das stimmt nicht. Ich liebe „High Noon“ immer noch. Ich bin auch nach wie vor froh, dass wir das Album genau auf diese Weise aufgenommen haben. Aber auch wenn man auf etwas stolz ist, kann man rückblickend Dinge daran finden, die man hätte besser machen können. Außerdem muss man einen guten Trick auch nicht wiederholen. Noch mal so lange fünf Tage die Woche an einem Album zu arbeiten, hat uns einfach nicht gereizt. Also haben wir das Album mit Unterbrechungen aufgenommen – zwei Songs im September, fünf im Oktober, fünf im Dezember. Hätten wir nach diesen Aufnahmen das Gefühl gehabt, dass uns diese Art zu arbeiten nicht liegt, hätten wir die Ideen verworfen. Aber weil es sich gut anfühlte, sind wir dabei geblieben.

MusikBlog: Ihr habt das Album außerdem mit vier verschiedenen Produzenten aufgenommen – Tony Hoffer hat erneut einen Song produziert, Brian West einen, Gus Van Go und Joe Chiccarelli je fünf Songs. Unterscheidet sich die Arbeitsweise dieser vier Produzenten grundlegend?

Max Kerman: Nicht wirklich. Natürlich hat jeder seine Stärken und wir konnten uns von jedem die besten Tricks abschauen. Alle vier Produzenten sind sehr geduldig und sprechen jede musikalische Sprache. Sie wissen genau, wie sie mit einem Gitarristen, wie sie mit einem Bassisten oder einem Schlagzeuger sprechen müssen. Es existiert dieser Mythos, dass alle Rockproduzenten wie Rick Rubin sind – mit langem Bart und komischen Marotten. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass die meisten sehr ruhige, hart und konzentriert arbeitende, sehr kommunikative Menschen sind.

MusikBlog: Wie habt ihr entschieden, welcher der vier Produzenten welchen Song produziert?

Max Kerman: Wir haben tatsächlich überlegt, welcher Song wohl am besten zum Stil des jeweiligen Produzenten passen könnte. Wir sind da sehr strategisch vorgegangen: Hey, lass uns ein paar der rockigen Songs für Joe Chiccarelli aufheben, der ist für rockige Sachen bekannt. Oder wir haben Tony ein paar Songs vorgespielt und er durfte den aussuchen, der ihm am besten gefiel. Aber diese vier Produzenten sind alle sehr vielseitig – Tony hat mit M83, den Kooks oder Beck gearbeitet, Joe mit den White Stripes, My Morning Jacket oder Elton John. Sie hätten also vermutlich alle auch jeden anderen Song auf „Morning Report“ produzieren können.

MusikBlog: Hattet ihr zwischendurch Angst, dass durch die Arbeit mit verschiedenen Produzenten  zu verschiedenen Zeiten das Album am Ende nicht wie eine Einheit klingen würde?

Max Kerman: Wir haben darüber auf jeden Fall nachgedacht. Aber erstens sind es immer noch wir, die diese Songs schreiben und aufnehmen, und zweitens hatten wir einen großartigen Mischer, der am Ende das gesamte Album abgemischt hat. Außerdem gibt es so viele tolle Alben, die mit Unterbrechungen über einen langen Zeitraum, mit verschiedenen Produzenten aufgenommen wurden, besonders, wenn man andere Genres betrachtet. Im Rock gibt es immer noch den Mythos, dass man als Band ein Album mit einem Produzenten in einer einsamen Hütte im Wald in einer Session live einspielen muss. Wir haben das gemacht und ich bin froh, dass wir das gemacht haben. Aber mich langweilt die Vorstellung, das noch einmal zu wiederholen.

MusikBlog: Du hast jetzt schon zwei Mal erwähnt, dass dich Rock ein wenig langweilt. Welche Genres dienen dir stattdessen als Inspiration?

Max Kerman: Ich höre viel Hip-Hop, ein wenig elektronische Musik und Pop. All das spiegelt sich in unserer Musik wider, auch wenn wir im Kern immer eine Rockband bleiben werden. Musiker wie Bruce Springsteen oder die Beatles werden immer die wichtigste Inspirationsquelle für uns bleiben. Heute ist es aber wichtig, dass du nicht nur weißt, wer deine Vorgänger waren, sondern dass du dich auch bemühst, irgendetwas anders zu machen. Und gerade in Sachen Produktion kann Rock von den genannten anderen Genres sehr viel lernen. Ein Song wie „Drake’s Dad“ erinnert mich vom Beat her an Southern Hip-Hop und Gospel, aber die Akkordfolge klingt eher nach Elton John. Es klingt, als hätte Kanye West einen Song von Elton John produziert.

MusikBlog: Auch „Private School“ klingt wie eine Rock-Version eines Hip-Hop-Songs.

Max Kerman: Ich mochte schon immer, wie Lou Reed singt. Oder auch Bob Dylan, der ja ebenfalls häufig Strophen ohne Melodie in der Stimme singt bzw. eher spricht. Beck macht das auch oft, wobei sich Beck natürlich schon bewusst auf Rap bezieht. Ich habe bei „Private School“ versucht, die Strophen so monoton wie möglich zu singen, damit der Refrain noch melodischer wirkt. Das ist ein Trick, den ich mir definitiv im Hip-Hop abgeschaut habe.

MusikBlog: Du hast vorab ja auch Drake als Inspiration für deine Texte genannt, weil er sich nie scheut, offen über seine Gefühle zu singen. Ist „Morning Report“ dein bisher ehrlichstes und emotionalstes Album?

Max Kerman: Was die Emotionen betrifft, gibt es auf diesem Album eigentlich eine gute Mischung. „Morning Report“ startet mit recht vielen Songs über Trennungen, weil mich dieses Thema eine Zeit lang sehr beschäftigt hat. Aber irgendwann war ich so genervt von traurigen, weißen Männern, die Songs über ihre Trauer schreiben, dass ich über andere Themen schreiben musste. (lacht)

MusikBlog: Viele Texte auf „Morning Report“ handeln von Menschen aus deinem Umfeld – beispielsweise singst du in „A Little Rain (A Song For Pete)“ über einen Freund deines Vaters. Was macht ihn so besonders?

Max Kerman: Er ist nicht nur der beste Freund meines Vaters, sondern auch einer meiner Freunde. Er arbeitet als Anwalt und vertritt Menschen vor Gericht, die nicht genug Geld haben, um sich einen Anwalt zu leisten. Er ist jemand, der sich immer für die richtigen Sachen eingesetzt hat, immer die Menschen um sich herum unterstützt hat, dabei aber positiv geblieben ist und nie verbittert wirkt.

MusikBlog: Und stimmt es, dass ihr mit „A Little Rain (A Song For Pete)“ bereits den zweiten Song über seine Familie geschrieben habt, weil „No Champagne Socialist“ von seinem Bruder handelt?

Max Kerman: Ja, das stimmt. (lacht)

MusikBlog: Neben diesen persönlichen Songs findet man auf „Morning Report“ aber auch politische bzw. gesellschaftskritische Songs wie „Private School“. Sind euch solche gesellschaftlichen Kommentare wichtig?

Max Kerman: Es ist wichtig, dass du Themen findest, die dich dazu bringen, einen Stift in die Hand zu nehmen und zu schreiben. Wenn ich überlege, was mich selbst zum Schreiben inspiriert, sind es erstens Menschen aus meinem Umfeld und Beziehungen, zweitens eben politische Themen. „Private School“ handelt beispielsweise von privilegierten Menschen, die ihre eigenen Privilegien gar nicht erkennen und nicht wissen, wie gut es ihnen eigentlich geht. Ich finde es immer wieder amüsant, wenn ich Menschen treffe, die aus wohlhabenden und einflussreichen Familien stammen, aber überhaupt nicht bemerken, wie sehr sie davon in ihrem Leben profitieren. Deshalb habe ich dieses Lied geschrieben.

MusikBlog: Ihr habt das Album „Morning Report“ genannt, weil einige Songs von den Nachrichten inspiriert sind, die man sich nach einer langen, alkoholreichen Nacht schickt, um den Abend zu rekonstruieren. Kriegt ihr noch häufig solche Nachrichten oder sind eure Freunde heute brave Familienväter und -mütter?

Max Kerman: Wir haben noch genug Singles in unserem Bekanntenkreis, deswegen kriegen wir immer noch viele solcher Nachrichten. (lacht) Ich mag diese Tage nach einer alkoholreichen Nacht, weil man sie gewöhnlich in einem Dämmerzustand verbringt. Ich vertreibe mir die Zeit dann gern damit, herauszufinden, was den anderen noch so passiert ist, nachdem man sich verloren hat. Oder an Sachen erinnert zu werden, die man schon wieder vergessen hatte.

MusikBlog: Hast du ein Beispiel für eine besonders lustige Nachricht, die du nach einer solchen Nacht bekommen hast?

Max Kerman: Die meisten darf ich nicht verraten. (lacht) Aber in „Drake’s Dad“ singe ich die Zeile „Adam took off his pants again“ und ich habe das Gefühl, dass es in jeder Clique diesen einen Freund gibt, der seine Hose auszieht, sobald er betrunken ist. Adam wurde tatsächlich einmal festgenommen, weil er mitten auf einer Straße in New Orleans seine Hose ausgezogen hat. Als ich das direkt nach dem Aufwachen hörte, war mein Morgen gerettet.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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