Vor zweieinhalb Jahren griffen Anwohner der Leipziger Arena nachts zum Telefon, weil sie die Statik ihrer Wohnungen gefährdet sahen. Dabei hatten nicht Treffer vom Retorten-Baby RB Leipzig im angrenzenden Stadion für Erdbeben-Ängste im biederen Waldstraßenviertel gesorgt, sondern tausende springende Kraftklub Fans.
Ein Album der Karl-Marx-Städter weiter, zahlen die immer noch ernsthaft über 30 EUR für ’ne Karte der Indie-Musterschüler und füllen die Multifunktionshalle erneut bis zum Rand.
Vorneweg spielen die sich inzwischen längst in allen Ohren befindlichen Von Wegen Lisbeth ein halbes Dutzend Appetizer, bei denen sich die Anwesenden während der Refrains für die kommenden Aufgaben warm singen konnten.
Während der Umbaupause laufen derweil von Clowns & Helden bis zum 80er Disco-Smasher „Passion“ (The Flirts) einige ganz krude Nummern der Musikgeschichte, bis sich mit einem Song, von dem bestenfalls die Eltern der meisten Anwesenden eine Originalaufnahme besitzen dürften, unweigerlich der Konzertbeginn ankündigt:
„Keine Macht Für Niemand“ rufen Ton Steine Scherben durch die Halle, der mottogebende Vorhang fällt, Kraftklub sind da, „Hallo Nacht“ – Hallo Leipzig!
War das aktuelle Album vielleicht nicht unbedingt der ganz große Wurf in Sachen Weiterentwicklung, zementierte es aber als dritte Nummer-eins-Platte nach „Mit K“ und „In Schwarz“ den Schulterschluss von Felix Brummer und Kollegen mit ihrer Anhängerschaft, falls das überhaupt noch nötig war.
Vom erweiterten musikalischen Input von „Keine Nacht Für Niemand“ bleibt live nicht viel übrig. New Wave oder Synthie-Spielereien sind hier nicht gefragt, im allerhöchsten Tempo rasen die fünf durch den Gig, jagen Hit um Hit durch die Boxen.
Das Quintett liefert punktgenau eine repräsentativen Werkschau ab. „Fenster“, „Mein Leben“, „Scheissindiedisko“, „Ich Will Nicht Nach Berlin“, „Chemie, Chemie, Ya“- textsicher bildet die euphorisierte Menge dabei den sechsten Mann.
Da bleibt kein Auge und schon gar kein T-Shirt trocken, weder vorn, wo die Pogo-Maschine auf Hochtouren läuft, noch weiter hinten, wo es zu den für solche Veranstaltungsorte üblichen Sicht- und Soundeinschränkungen kommt.
Natürlich sind die Herrschaften auf der Bühne inzwischen Profis, mit der Erfahrung von zig Gigs unter den Plektren und Drumsticks. Trotzdem bleibt der Eindruck von Routine weitestgehend aus, Kraftklubs unbekümmerte Frische scheint konserviert worden zu sein.
Das liegt auch an den Entertainer-Qualitäten ihres Frontmann Felix, der die Meute dirigiert, das Glücksraddrehen moderiert, mit Bengalos zündelt und zum Gemeinschaft-Springen animiert, um die Vorfälle vom letzten Gig zu wiederholen. Ein Vorhaben, welches auch gelingt, im nachbarlichen Arena-Umfeld geraten wieder einige Boxspringbetten in Bewegung.
Auch ihr Support kommt auch noch einmal zurück, um mit der „Band mit dem K“ anlassgemäß den zeitlosen Ärzte-Klassiker „Schrei Nach Liebe“ zu performen. Eine weitere Kraftklub-Konstante in der ersten Zugabe: Auf einer mobilen Stage inmitten der Halle werden von der Band „Schüsse In Die Luft“ und „Randale“ über den Köpfen des Publikums gespielt, um anschließend vom selben im – bald olympischen – Crowdsurfing-Wettbewerb zurück auf die Bühne gereicht zu werden.
Kraftklub haben wieder ein furioses Konzert geliefert, Band und Publikum feierten ekstatisch, bis der letzte Ton von „Songs Für Liam“ verklungen war.