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Xiu Xiu – Live im Karlstorbahnhof, Heidelberg

Ein Xiu Xiu Konzert hat in seiner Andersartigkeit existenzialistische Züge. Wer sich Jamie Stewart und seine Keyboarderin Shayna Dunkelman zumutet, hat ein Alles-Oder-Nichts-Ticket gekauft und findet die Konfrontation mit Musik und Klang in seiner radikalsten Form erquickend.

Das ist in der Regel nie die Masse. Der Saal des Karlstorbahnhof ist entsprechend verkleinert, mit Mollton abgehängt. Die übrig gebliebene Fläche wirkt dann umso voller, mit Menschen, deren Motive unklar bleiben. Nur eines ist sicher: Sie sind nicht hier, weil im Fernsehen heute Abend mal eben kein Tatort läuft.

Das Pret á Ècouter Festival, in dessen Rahmen die Band auftritt, zielt mit seinem Programm auf die Kenner und Xiu Xiu dann aus allen Rohren auf Knochen und Köpfe der Anwesenden. Die Herzen lassen sich mit ihrer Musik nicht berühren. Muss auch nicht sein. Zu verstören und Grenzerfahrungen vorzuführen, sorgt genauso für breites Grinsen und innere Begeisterungsstürme im Publikum.

Stewart spielt sein Becken mit dem Fuß, er spielt überhaupt viel Becken – vielleicht hat vor ihm noch nie jemand ein einzelnes Becken so psycho-energetisch und stilsicher malträtiert.  Er verrenkt sich die Glieder, trötet ins Mikro und hechelt in jeder Pause, völlig außer Atem, in die offenen Kanäle auf der Bühne.

Wenn er dann noch deutlich hörbar seinen Kamille-Tee gurgelt, wird klar, das gehört genauso zur Show, wie wenn sich Blixa Bargeld in der Elbphilharmonie eine Zigarette ansteckt.

Die Songs der neuen Platte „Forget“ eruieren zur geilsten Nicht-Von-Dieser-Welt-Disko, obwohl sie eigentlich dem Tod huldigen. Es wird getanzt, wo es nichts zu tanzen gibt, weil man körperlich staunt, wo es nur zu staunen gilt.

Die zwei auf der Bühne führen im Minutentakt ein Percussion-Arsenal vor, dem zur Hälfte noch die Namen fehlen oder zumindest kein Gast je gesehen hätte. Shayna Dunkelman klöppelt gebieterisch auf ihren Trommeln und worauf man sonst noch draufhauen kann und ist dabei nicht nur die bessere Steh-Schlagzeugerin als Bela B. sondern auch die Filmreifere. Warum hat eigentlich Park Chan-Wook noch keinen Streifen mit ihr gemacht?

Egal, weiter im Programm, und mit diesem herrlich unwirklichen Chaos, das zwischen Theatervorstellung und Extremsport in seiner Kompaktheit von gut 60 Minuten plötzlich total Sinn ergibt. Wo der Hörer auf Platte nicht immer den Faden findet, weil das expressionistische Spiel unsichtbar bleibt, greifen hier alle Rädchen ineinander.

Eine manische Bühnenperformance, ein Publikum von der Manie eingenommen: bedingungslose Kunst, kompromisslos vorgetragen. War das jetzt ein einmaliges Konzerterlebnis oder John Malkovich auf seiner Acid-Fitnesstour mit dem Namen: „Auf der Suche nach ewiger Jugend“.

Jamie Stewart sieht nämlich ein bisschen so aus wie eine jüngere Version von Malkovich, der sich wild winkend verabschiedet. Und während er backstage die triefenden Klamotten wechselt, wird draußen angeregt die just passierte Freakshow analysiert und sogleich ein Konsens gefunden: „Haste nicht gesehen, so was“.

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