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Ohne Hoffnung lohnt sich kein Kampf mehr – Ezra Furman im Interview

In einer Welt, in der das Patriarchat zunehmend bröckelt, steht eine Künstlerin wie Ezra Furman mit einem Grinsen im Gesicht und einem dicken Hammer in der Hand bereit, um diesbezüglich auch die letzten Mauern zu durchbrechen. Auf ihrem neuen Studioalbum “All Of Us Flames” präsentiert sich die Amerikanerin offener, direkter und intimer denn je. Kurz vor der Veröffentlichung des neuen Longplayers trafen wir Ezra Furman zum Interview und sprachen über Endzeitstimmungen, John Congleton und den ultimativen Rausch-Moment.

MusikBlog: Ezra, in Kürze erscheint dein neues Studioalbum “All Of Us Flames”. Du gehst in deinen neuen Songs sehr offensiv und kämpferisch zu Werke, prangerst viel an und lässt den Hörer dennoch mit einem Hoffnungsschimmer zurück. War das auch so geplant?

Ezra Furman: Ich denke, dass uns die Zeit, in der wir leben, gerade gar keine andere Wahl lässt. Obwohl… eigentlich ist das ja auch alles nichts Neues. Diese Apokalypse-Gedanken gab es schon lange vor uns. Als Jüdin und Mensch mit transsexuellem Hintergrund bin ich sehr vertraut mit negativen Vibes und zerstörerischen Szenarien. Für mich ist das alles nichts Neues. Ich meine, wir blicken zurück auf tausend Jahre Angst, in denen es auch immer um Flucht, Verfolgung und Diskriminierung ging. Aber am Ende des Tages geht es natürlich auch um Hoffnung, ganz klar. Ohne Hoffnung lohnt sich kein Kampf mehr.

MusikBlog: Was gibt dir dieser Tage Hoffnung?

Ezra Furman: Die Kunst ist ein starker Fels. Hier kann man den Leuten, die es betrifft und die es nötig haben, Kraft und Energie geben. Ich hoffe, dass ich meinen Beitrag leisten kann, so dass es einigen Menschen irgendwann ein bisschen besser geht. Das wäre großartig. Wir wollen doch schließlich alle glücklich sein und einfach nur unser Leben leben.

MusikBlog: Wie schwer oder wie leicht fällt es dir, all deine Gedanken und Gefühle in Musik umzuwandeln?

Ezra Furman: Das fällt mir in der Tat manchmal leichter und manchmal schwerer. Für mich ist es immer wichtig, offen zu sein. Wenn ich unterwegs bin, dann muss ich einfach alles aufsaugen, was um mich herum passiert. Ich höre unheimlich viel Musik und lass mich gerne inspirieren. Wenn dann Ideen hängenbleiben, dann krame ich mein Notizbuch hervor und halte die Dinge eben fest.

MusikBlog: Wann merkst du, dass eine Idee das Zeug für einen kompletten Song hat?

Ezra Furman: Das ist einfach ein Gefühl. Ich versuche auch immer, irgendwie eine Gitarre in der Nähe zu haben. Manchmal spiele ich dann etwas auf der Gitarre und schaue mir nebenbei an, was mein Notizbuch so hergibt. Es gibt Tage, da passen Gitarrenspiel und Notizbucheinträge sofort zusammen. Manchmal dauert es aber auch eine Weile. Das ist immer ganz unterschiedlich.

MusikBlog: Der Sound des neuen Albums lässt sich meiner Meinung nach keinem speziellen Genre zuordnen. Jeder Song ist irgendwie einzigartig. Es gibt unheimlich viel zu entdecken.

Ezra Furman: Ja, das ist ein bisschen seltsam, denn eigentlich hatte ich zumindest die Idee eines Soundplans. Aber ich bin froh, dass es jetzt so ist wie es ist.

MusikBlog: Was hat dich die Dinge ändern lassen?

Ezra Furman: Ich weiß nicht, ich habe irgendwann einfach losgelassen. Ich denke, dass das der Schlüssel war. Ich gehe sonst sehr fokussiert und kontrolliert zu Werke. Diesmal habe ich alles mehr treiben lassen. Das war rückblickend genau die richtige Entscheidung.

MusikBlog: Hat dir dein Produzent John Congleton beim Stellen neuer Weichen geholfen?

Ezra Furman: John war wunderbar. Sein großer “Spielzeugladen” hat mir sehr geholfen. (lacht) er hat ja auch schon unser letztes Album “Twelve Nudes” gemixt. John hat so viele verschiedene Keyboards und Synthesizer in seinem Studio, das ist wirklich der Wahnsinn. Wir haben ganz toll zusammen funktioniert. Das ist schon ziemlich krass, denn zwischen den Demoversionen und den letztlich fertigen Songs liegen musikalische Welten.

MusikBlog: Wie tickt er als Mensch?

Ezra Furman: John ist jemand, mit dem man sehr gut reden kann. Meistens unterhält man sich mit dem Produzenten nur über Musik. Aber mit John ist es anders. Gerade, wenn man Musik macht, die etwas tiefer geht, dann ist John genau der richtige Mann, denn er hilft dir dabei, deine Unsicherheit und deine Zweifel und deine Verletzbarkeit zu überwinden. Ich bin wirklich froh, dass ich irgendwann richtig loslassen und meine Selbstzweifel über Bord werfen konnte. Neben John haben mir da auch die Beatles geholfen. (lacht)

MusikBlog: Wie das?

Ezra Furman: Ich habe mir zwischendurch die “Get Back”-Doku angesehen und festgestellt, dass sich die Beatles musikalisch nie hinterfragt haben. Das war eine ihrer großen Stärken. Die Beatles hatten nie Selbstzweifel. Ich kann mich noch an eine Session mit John erinnern, da hatten wir einen Song fertig und John meinte: “Der klingt cool, das lassen wir einfach so.” Ich bin eigentlich jemand, der immer nochmal alles nachbessern will und muss. Aber diesmal habe ich es gelassen. Ich bin wirklich happy, dass ich es so durchgezogen habe.

MusikBlog: Du wirkst sehr euphorisch, wenn du über den kreativen Produktionsprozess sprichst. Fühlst du dich auf der Bühne genauso wohl?

Ezra Furman: Es gibt nichts Schöneres, als auf der Bühne zu stehen und das Gefühl zu haben, dass die Leute, die vor einem stehen, verstehen, um was es geht. Diese Verbindung ist unbeschreiblich. Das kann man nicht in Worte fassen. Das hat etwas Magisches. Auf der anderen Seite ist es bei mir aber auch so, dass ich überhaupt nicht gerne unterwegs bin. Auf Tour zu sein bedeutet, dass du – von deiner Band mal abgesehen – alle Freunde und wichtigen Menschen in deinem Leben zurücklässt. Das fällt mir immer sehr schwer. Natürlich ist abends die Show. Dieser Moment ist meistens auch großartig. Aber der Rest des Tages ist pure Langeweile. Ich lerne irgendwie nichts auf Tour. Ich weiß nicht, müsste ich mich entscheiden, dann würde ich wohl mein ganzes Leben lang nur Songs schreiben und veröffentlichen wollen. Das würde mich total erfüllen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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