An der Schwelle zu ihrem siebten Album forciert St. Vincent eine Forschheit, die sie bisher eher zwischen den Tönen durchblicken ließ. Die dreifache Grammy-Gewinnerin beschreibt „All Born Screaming“ selbst als ihre am wenigsten lustigste Platte, für die sie ein kleines, eingeschworenes Abrisskommando an Gästen ins Studio buchte.
Es beginnt unmittelbar mit dem diabolischen Titel „Hell Is Near“. Die düstere Verheißung hält sich musikalisch zunächst noch zurück, wenn betörende Gitarren überraschend ihre elegante Gesangsmelodie mitgehen und einen der besten Songs des Albums definieren.
Wenn mit „Reckless“ an zweiter Stelle zunächst spartanische Pianotupfer in Moll die grauen Wolken scharfzeichnen, die sich angekündigt haben, bleibt das Album letztmalig geruhsam.
Nach Minute 2:40 taucht Annie Clark in einen Noise-Pop, der sie erstmal nicht wieder hergibt. Die pumpende Bass-Gitarre in „Broken Man“ an dritter Stelle bedient sich der tieftönenden Aura der Queens Of The Stone Age, mit Dave Grohl am Schlagzeug, der darüber hinaus nochmals im kaum weniger zimperlichen „Flea“ in Erscheinung tritt.
Beide Stücke sind im Kontext von St. Vincent ungewohnt wuchtig und verhandeln gleichermaßen Lust und Verlust: „Lover nail yourself right to me/ If you go I won’t be well/ I can hold my arms right open/ But I need you to drive the nail“.
Es sind die prägenden Themen der Platte. Unbändiger Lebenshunger an der Grenze zur Selbstzerstörung, verpackt in einen gewissen Brutalismus, der nie die Ästhetik vergisst.
Die Lust am organisierten Lärm lässt sich womöglich auf Clarks Noise-Band zu College-Zeiten zurückführen, die den noch weniger zimperlichen Namen Scull Fucker trug. Die erste Hälfte der Platte scheint von jener adoleszenten Aggressivität bestimmt, die sich nun zwischen Steve Albini und Nine Inch Nails ihre Wege bahnt.
Erst mit dem bezeichnenden „The Power Is Out“ folgt so etwas wie eine Art-Pop-Ballade mit Drumcomputern und herzergreifender Melodie. Der karibische Esprit in „So Many Planets“ ist im Anschluss das Lieblichste der ganzen Platte, dieses Mal mit Unterstützung vom neuen Foo-Fighters-Schlagzeuger Josh Freese.
Bis dahin unterstreicht das Album einmal mehr die Wandlungsfähigkeit eine der innovativsten Grazien unter den Avantgardisten. Da kommt aber noch das fulminante siebenminütige Finale in Form des Titelsongs, das in sich schon mehrfach die eigene Achse dreht. Die befreundete Künstlerin Cate Le Bon pumpt hier eine infektiöse Basslinie in den Song.
Dass Annie Clark darüber hinaus erstmals vollständig alleine produzierte, macht „All Born Screaming“, unabhängig von den Gästen, womöglich zum Destillat, zur reinsten, ursprünglichsten Form, die St. Vincent hergibt. In gewisser Weise entspricht das dem Gegenteil des Vorgängers „Daddy’s Home“, für das sie vor allem zur Plattensammlung ihres Vaters wurde, und die Siebziger zu porträtieren.
So oder so bleibt St. Vincent auch in ihrer Forschheit eine der größten Avant-Pop-Künstlerinnen unserer Zeit.