Man sollte nie dem ersten Eindruck vertrauen. Gerade wenn es um offizielle Pressestimmen geht, wird vieles schöngeredet. Die ersten Bilder, welche vom Lollapalooza Berlin am letzten Wochenende zu sehen waren, zeigten lächelnde Gesichter, viel Sonne und Menschen, die euphorisch zur Musik tanzten. Was die Bilder nicht zeigten, waren die endlosen Warteschlangen auf und vor dem Gelände des Tempelhofes Feldes. 90 Minuten für das Festivalband? 60 Minuten bei der Toilette anstehen? Fast 2 Stunden warten, um einen Burger zu essen? Am ersten Tag des Lollapalooza sah es nach einem riesigen Desaster aus, doch die Veranstalter reagierten schnell und machten das Festival doch erträglicher für den Besucher.

Zum Glück war das Line-Up von Anfang an hochkarätig besetzt. Mit Muse, The Libertines, Tame Impala, Beatsteaks und Deichkind war für jeden Festivalbesucher auf den insgesamt vier Hauptbühnen was dabei. Doch auch die kleineren Künstler mauserten sich zu geheimen Headlinern.

Die englische Indie-Rock-Band Glass Animals waren gefühlt die ersten auf dem Lollapalooza, die am Samstag vom Publikum bemerkt wurden. Innerhalb weniger Minuten füllte sich der Platz vor der Bühne, was von der Band mit Freude aufgenommen wurde. Neben ihrem Debutalbum „Zaba“ spielten sie auch ein Cover von Kanye West, was mit einer Hommage auf sein Queen-Cover während des Glastonbury Festival angekündigt wurde.

My Morning Jacket ist auf dem Festivalkosmos der USA nicht mehr heraus zu denken. Ausverkaufte Tourneen und die besten Spielzeiten auf Festivals sind den Jungs aus Louisville jenseits des Atlantiks garantiert. In Berlin kamen sie nicht über 16:00 Uhr heraus. Auch wenn sie mit Abstand die lautesten auf dem Flughafen Tempelhof waren, war der Andrang unter den Besuchern zäh. Diejenigen, die doch einen Blick auf My Morning Jacket geworfen haben, waren alles andere als enttäuscht. Eingängige Riffs, gepaart mit der Verspieltheit von Frontmann Jim James brachten so einige Besucher in Laune.

Das wohl schönste Lächeln hatte Lizzy Plapinger, Sängerin des Pop-Duos MS MR. Bei diesem Auftritt war der Wohlfühlfaktor extrem hoch, was nicht nur bei der Band, sondern auch beim Publikum gut ankam. Zusammen mit ihrem Kollegen Max Hershenow legte Lizzy die Messlatte des Festivals als einer der ersten Künstler am Samstag sehr hoch. Bei Liedern wie „Think Of You“, „Hurricane“ und natürlich der aktuellen Single „Criminals“ vom aktuellen Album schlugen sie gewaltig ein. Natürlich mit einem Lächeln.

Das Trio (!) Chvrches aus Glasgow zählt nicht erst seit ihrer kürzlich erschienenen Single „Leave A Trace“ aus dem am 25. September erscheinenden Album „Every Open Eye“ als großer Newcomer aus Großbritannien. Die eingängige Melodien mit der zarten Stimme von Frontfrau Lauren Mayberry konnten Chvrches auch live beim Lollapalooza gut rüberbringen und schürten die Erwartung auf den Nachfolger von „The Bones Of What You Believe„.

Enttäuschend dagegen waren die Stadtkollegen FFS (Franz Ferdinand & Sparks). 80th-Pop gepaart mit ein bisschen Lustlosigkeit. Dies merkten auch die Besucher und machten dementsprechend wenig mit. Einzig „Take Me Out“, „Michael“ und „Do You Want To“ erfreuten die Franz Ferdinand-Fans, was gebürtig gefeiert wurde.

Die Londoner Wolf Alice stehen derzeit im Fokus der englischen Musikszene. Ausverkaufte Konzerte und Auftritte beim Glastonbury und Reading and Leeds Festival katapultierten sie nach ganz oben in der Indie-Szene. Mit ihrem Debutalbum „My Love Is Cool“ verursachten sie im Februar 2015 einen mittelschweren Hype, den diese Band auch mit nach Deutschland bringen wollte. Leider spielten sie am Sonntag als erste Band, was nicht die großen Besuchermassen versprach. Dennoch brachten sie ihre Lieder hervorragend ins Publikum, was gut mitmachte.

Die Waliser Stereophonics sind eigentlich keine unbekannten. Mit ihrem aktuellen 12. Album „Keep The Village Alive“ stürmen sie gerade die Albumcharts in Großbritannien und liegen vor The Libertines und Bring Me The Horizon auf Platz 1. In Deutschland sind die vier Musiker um die Brüder Kelly und Richard Jones zwar bekannt, aber nie im großen Fokus gewesen. Zu Unrecht – Mit „Mr. Writer“, „Superman“ und „Have A Nice Day“ legten sie Indie-Hymnen auf das Parkett, die auch von den Festivalbesuchern energisch mitgesungen worden.

Auch wenn diese beiden Bands in Deutschland das Nonplusultra sind, gehören auch Deichkind und Beatsteaks zum Kreis der heimlichen Headliner: Für beide Bands war es der letzte Festivalstop in diesem Jahr. Deswegen ließen sie es auch so richtig krachen. Am Samstagabend um 20 Uhr legten Deichkind mit ihrer gewaltigen Bühnenshow vor. Auch wenn die Show fast jedem bekannt ist, zogen viele Interaktionen mit dem Publikum und natürlich ganz viel Witz jeden Besucher in den Deichkind-Bann. Spätestens als das altbekannte Fass durch die Massen fuhr, gab es für die Festivalgänger kein Halten mehr, so dass selbst die zahlreichen Engländer und Amerikaner trotz Mangel an Deutschkenntnissen mitmachten.

Am Sonntag 18:00 Uhr zogen dann die Beatsteaks nach. „Wir sind mit dem Fahrrad hier!“, schrie Beatsteaks-Sänger Arnim Teutoburg-Weiß lachend in sein Mikrofon und heizte die Zuschauer zu Höchstleistungen an. Trotz der begrenzten Spielzeit waren mit „Hello Joe“, „Jane Became Insane“, „Let Me In“ und „I Don’t Care As Long As You Sing“ springende Zuschauer und gewaltige Moshpits vorprogrammiert.

Die größte Überraschung des Lollapalooza war der Auftritt von The Libertines, die zwei Tage zuvor ihre Release-Shows in Großbritannien wegen gesundheitlicher Probleme Peter Dohertys absagen mussten. Viele Festivalbesucher wussten bis zum Betreten der Bühne nicht, ob The Libertines auch diesen Auftritt abgesagt hatten. Mit dem neuen Album „Anthems For Doomed Youth“ im Gepäck schafften sie es doch pünktlich nach Berlin, um in knapp anderthalb Stunden die wichtigsten Lieder ihrer Discographie runterzuspielen. Dabei schienen Peter Doherty und Carl Barat eines in den letzten Jahren gelernt zu haben: Professionalität. Auch wenn es so aussah, als hätten sie einen kompletten Berliner Spätverkauf leer getrunken, so spielten sie ihre Lieder souverän und mit viel Enthusiasmus. Diese Begeisterung schwappte zwar nicht ganz auf das gemischte Publikum über, dennoch wurden Lieder wie „Don’t Look Back Into The Sun“ und „What Katie Did“ lauthals mitgesungen.

Am Ende war es doch ein gelungenes Lollapalooza, welches auch 2016 wieder in Berlin stattfinden soll. Bis dahin wird hoffentlich wieder am Line-Up und vor allem an der Organisation gearbeitet.

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