Dies ist der hoffentlich, und nach aktuellem wissenschaftlichen Stand wahrscheinlich, letzte MusikBlog-Jahresrückblick, der die Corona-Pandemie erwähnt. Nach fast drei Jahren scheint sie in eine Endemie überzugehen und der Virus nun – zwar nach wie vor gefährlicher, aber nicht mehr so einschränkender – Teil unseres Alltags zu werden.

Der Schaden für die Veranstaltungs- und damit Musikbranche insgesamt ist jedoch groß. Wie die zahlreichen Konzertabsagen in diesem Jahr, diesmal nicht pandemie-, sondern nachfrage-bedingt, gezeigt haben, hat Corona eine Live-Müdigkeit bei den Indie-Fans erzeugt, die durch hohe Inflation und entsprechende Knappheit im Portemonnaie verstärkt wurde.

Und so konzentrieren sich die Konzertbesuche immer mehr auf die Mega-Acts (Taylor Swift, Depeche Mode, Rammstein), die ihre Touren mit hunderttausenden, ziemlich teuren Tickets innerhalb weniger Minuten ausverkaufen, während die zweite und dritte Reihe oft vor wenig oder gar keinem Publikum spielt.

Neben den Einnahmen aus Musikverkäufen fehlen den nicht ganz so bekannten Künstler*innen nun also auch zunehmend die aus Live-Auftritten. Umso mehr Respekt zollen wir allen Bands und Solo-Artists, die nicht aufgeben und trotzdem weiter Musik machen. Wir werden auch 2023 weiterhin versuchen, den Nachwuchs-Acts eine Plattform zu geben und Förderwettbewerbe wie dem Sprungbrett der Feierwerk Fachstelle Pop oder dem Sound Of Munich Now von SZ und Feierwerk zu unterstützen.

Gleich zu Jahresbeginn überraschten Blood Red Shoes mit einem elektronischeren Album, das mit seiner Mystik eher an “In Time To Voices” anknüpfte und mit seiner Vielschichtigkeit überzeugte.

King Hannah bewiesen mit ihrem ganz und gar nicht nach Britpop klingenden Debütalbum, wie wüstenstaubig die Straßen von Liverpool sein können.

Stella Sommer veröffentlichte ihr drittes Solo-Album mit dem kunstvollen Titel “Silence Wore A Silver Coat”, auf dem sie sich deutlich nahbarer und fast poppig zeigt. Streaming-Abonnenten haben übrigens Pech gehabt, wer sich das Doppelalbum anhören will, muss es schon käuflich erwerben.

Porridge Radio spielten sich mit den melancholischen Liebesliedern auf ihrem zweiten Album tiefer in die Herzen ihrer und aller Sleater-Kinney-Fans. Auch live gehörten sie zu den wenigen Acts, die ihre Tour nahezu ausverkauften und eine grandiose Show in z.B. München und Hamburg lieferten.

Mitski hielt ihre selbst verordnete Pause doch nicht lange durch und hat vier Jahre nach dem letzten Album ihr neues “Laurel Hell” herausgebracht. Darauf gelingt ihr das Kunststück, Gegensätze miteinander zu verbinden oder die eigenen Wahrheiten kurze Zeit später als Lüge zu entlarven. Damit schaffte sie es in die Top 10 der MusikBlog-Jahrescharts.

Etwas mehr Zeit ließen sich Yeah Yeah Yeahs mit ihrem Album, das nach zehn Jahren Pause erschien, in der vor allem Frontfrau Karen O mit ihrer Solo-Karriere aktiv war. Mit unverbrauchtem Klang lässt das Album mit Blick auf den Raubbau am Lebensraum unserer Erben keinen Platz für Distanziertheit und Zynismus.

Noch länger dauerte es bei Muff Potter, die sich 13 Jahre (!) nach ihrem letzten Studioalbum zurück meldeten und sich mit ihrer neuen Langrille als würdige Nachfolger der im circa genau so langen Hiatus schlummernden Tomte etablierten.

Tocotronic werden wohl mit ihrem diesjährigen Album wohl als Propheten in die Geschichte eingehen, da ihr mahnender Appell “Nie wieder Krieg” nur drei Wochen vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine erschien. Der Podestplatz ist damit trotz der schwülstigen Schmachtballade “Ich Tauche Auf” feat. Soap&Skin mehr als verdient.

Wir alle hoffen sehr, dass dieser Krieg im nächsten Jahr zu Ende geht und schließen uns dem Aufruf “Russian war – Go fuck yourself” von Pussy Riot in ihrer neuen Single “Mama, Don’t Watch TV” an.

Die beiden Frauen von Wet Leg von der britischen Isle of Wight haben schon im letzten Jahr dank ihrer Hitsingle “Chaise Longue” viele Vorschusslorbeeren bekommen, so dass sie mit ihrem Debütalbum mit Leichtigkeit die Erwartungen erfüllen und entsprechend unsere Gunst abräumen konnten.

Auch Die Nerven bleiben am Puls der Zeit und trafen mit ihrem neuen Album den Nerv der MusikBlog-Redaktion. „Kalte Kriege, Erhöhte Miete, überhöhtes Selbst, verbrannte Erde, verbrannte Städte, verbranntes Geld.“ – konzentriertes Ohrwurm-Material mit relevanten Texten brachte den Stuttgartern um Max Rieger den Sieg der diesjährigen Album-Charts.

Ganz knapp die Charts verpasst haben – zum Leidwesen des Chefredakteurs – die Australier Press Club, die mit ihrem zweiten Album “Endless Motion” zeigen, dass sich melodische Lovesongs und Punk keineswegs ausschließen und die auch live (in ebenfalls ausverkauften Venues) beeindruckten.

Hier unsere Redaktionscharts 2022:

  1. Die Nerven – Die Nerven
  2. Wet Leg – Wet Leg
  3. Tocotronic – Nie wieder Krieg
  4. Arctic Monkeys – The Car
  5. Muff Potter – Bei Aller Liebe
  6. Casper – Alles war schön und nichts tat weh
  7. Mitski – Laurel Hell
  8. Yeah Yeah Yeahs – Cool It Down
  9. Fontaines D.C. – Skinty Fia
  10. Mia Morgan – Fleisch
  11. The 1975 – Being Funny In A Foreign Language
  12. King Hannah – I’m Not Sorry, I Was Just Being Me
  13. Stella Sommer – Silence Wore A Silver Coat
  14. Porridge Radio – Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky
  15. alt-J – The Dream
  16. Blood Red Shoes – Ghosts On Tape
  17. Florence + The Machine – Dance Fever
  18. Kae Tempest – The Line Is A Curve
  19. The Smile – A Light For Attracting Attention
  20. Get Well Soon – Amen
  21. The Düsseldorf Düsterboys – Duo Duo
  22. Phoenix – Alpha Zulu
  23. Dagobert – Bonn Park 
  24. Kraftklub – Kargo
  25. Foals – Life Is Yours

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